Wilford Woodruffs Vision

1877 erzählte Wilford Woodruff im Salt Lake Tabernakel folgendes Erlebnis:

"I will here say, before closing, that two weeks before I left St. George, the spirits of the dead gathered around me, wanting to know why we did not redeem them. Said they, “You have had the use of the Endowment House a number of years, and yet nothing has ever been done for us. We laid the foundation of the government you now enjoy, and we never apostatized from it, but we remained true to it and were faithful to God.” These were the signers of the Declaration of Independence, and they waited on me for two days and two nights.  I thought it very singular, that notwithstanding so much work had been done, and yet nothing had been done for them. The thought never entered my heart, from the fact, I suppose, that heretofore our minds were reaching after our more immediate friends and relatives. I straightway went into the baptismal font and called upon Brother McCallister to baptize me for the signers of the Declaration of Independence, and fifty other eminent men, making one hundred in all, including John Wesley, Columbus, and others. I then baptized him for every President of the United States, except three; and when their cause is just, somebody will do the work for them." (Journal of Discourses Vol. XIX, pg 229)

Die Gründerväter der Vereinigten Staaten sollen also Woodruff erschienen sein und ihn aufgefordert haben, sie durch Totentaufe zu erlösen.

Wie Brian H. Stuy in Unterlagen der Kirche herausgefunden hat (siehe http://signaturebooks.com/2010/04/dimensions-of-faith-a-mormon-studies-reader/) wurden für George Washington & Co. bereits in Nauvoo, 6 Jahre zuvor im Endowment House in Salt Lake sowie 1 Jahr vorher im Tempel in St. George, also insgesamt 3 mal, stellvertretende Taufen vollzogen.

War das nur ein Missverständnis? Wohl kaum, denn Woodruff hat die Geschichte 1892 und 1898 während der Frühjahrsgeneralkonferenz wiederholt.
Dann wurde er vielleicht von bösen Geistern getäuscht? Möglich, allerdings war Woodruff auch ein exzessiver Tagebuchschreiber. Und seine Tagebucheinträge von 1877 enthalten keine Hinweise auf eine wundersame Vision. Stattdessen beschreibt er ganz sachlich, wie er die Liste mit 100 bekannten Persönlichkeiten erstellt hat und sich zwei Tage später für sie taufen ließ und dass es ein "interessanter Tag" gewesen wäre. Nichts von Erscheinungen und Geistern.

Kann es sein, dass Woodruff den Paul H. Dunn gegeben hat? Das war der Siebziger mit den vielen inspirierenden Geschichten zu meiner Missionszeit, die sich später als unwahr bzw. maßlos übertrieben  herausgestellt haben. Sprich Woodruff hat die glaubensstärkende Geschichte gewissermaßen erfunden.

Lüge oder Irrtum? Wir wissen es nicht. Zumindest lag er auch mit anderen Aussagen falsch. So hatte er 1875 prophezeit, dass "viele Kinder, die jetzt in den Bergen Israels (Utah) leben, niemals den Tot schmecken werden. Das heißt, sie werden auf Erden während der Wiederkehr des Herrn Jesus Christus weilen."

Was lehrt uns dies? Erstens: Die Aussagen von Aposteln und Propheten sind unzuverlässig, möglicherweise sind Geschichten übertrieben, phantasievoll ausgeschmückt oder schlichtweg erstunken und erlogen. Zweitens: Der Heilige Geist ist beim Aufdecken bzw. Bezeugen genauso unzuverlässig. Denn bei den Geschichten von Paul H. Dunn fühlten sich Tausende Mitglieder inspiriert einschließlich meine Wenigkeit. Und auch Woodruffs 'Münchhausiade' wurde erst jetzt als solche entlarvt.