Lehren aus dem Film 'A Beautiful Mind'



Nachdem ich endlich in Folge jahrelangen intensiven Studiums das Buch Mormon und Buch Abraham als unhistorische Produkte und Joseph Smith als charismatischen Kultgründer akzeptiert habe, sich auch die Bibel und das Christentum als bloße Mythen entpuppten und schließlich der Glaube an Gott zusammengebrochen ist, habe ich folgende teilweise überraschende zwei Erkenntnisse gewonnen:

Erstens: Gott lebte allein in meinem Kopf. Er war für mich lange Zeit sehr real. Die ganze Welt habe ich im Lichte seiner Existenz erlebt. Von klein auf war ich darauf bedacht, in mich zu horchen, um Botschaften und Leitung dieses Wesens aus dem Wirrwarr an Gedanken und Gefühlen zu identifizieren. Mit Gott durch Gedanken zu kommunizieren, kam mir vollkommen natürlich vor. Daher habe ich die göttliche Gegenwart tatsächlich erlebt. Eingebungen waren für mich eine Wirklichkeit. Aber waren sie wirklich real, nur weil sie mir so unzweifelhaft real erschienen? Mittlerweile ist Gott daraus fast vollständig verschwunden. Und das ziemlich plötzlich. Fast von einem Tag auf den anderen. Nur in besonders stressigen Situation überfällt mich manchmal noch der Drang, ein Stoßgebet abzusenden. Allerdings kann ich das gut über meinen präfrontalen Kortex unterdrücken.
Eine wunderbare Illustration, wie das abläuft, bietet der Film ‚A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn‘ aus dem Jahr 2001, der auf der Biographie des an Schizophrenie leidenden Nobelpreis-Gewinners John Nash beruht und mehrere Oscars und Golden Globes abgeräumt hat.
Der Film zeigt, wie Nash Jahrzehnte mit drei Personen interagiert, die, wie er später entdeckt, Ausgeburten seiner Phantasie sind. Aber er erlebt sie als wären sie real. Kein vernünftiges Argument konnte ihn überzeugen und ihm helfen, zu sehen, dass diese drei Personen nur in seiner Phantasie existierten. Und warum halfen Argumente nicht? Weil, wenn man selbst diese Personen in seinem eigenen Kopf erschafft, niemand anders den eigenen Kopf ändern kann. Niemand. Und es hilft überhaupt nichts, zu argumentieren, dass die Person, die man selber erlebt, nicht existiert, denn für einen selber existiert sie. Die Person existiert, weil man sie in seinem Kopf erschafft. Der Film zeigt wunderbar, wie real sie für Nash waren, wie schwer es ist, überhaupt die Möglichkeit zuzulassen, dass sie nicht real sein könnten.
Am Ende gelangt Nash endlich selbst zu der Erkenntnis, dass die drei Menschen, mit denen er aufgewachsen war, die er lieben und zu brauchen gelernt hatte, nur in seiner Einbildung existierten. Eines Tages merkte er, dass etwas nicht stimmte, etwas nicht passte. Reale Menschen altern. Diese Menschen aber nicht. Und damit war der Bann gebrochen. Niemand außer er selber konnte ihn zu dieser Erkenntnis bringen.
Deshalb kann man Gläubige nicht von der Nicht-Existenz ihres Gottes und des Irrsinns ihrer Glaubensvorstellungen überzeugen. Denn für sie existiert Gott. Für sie ist er real. Sie spüren und erleben ihn. Sie haben Gefühle für ihn, sie oder es. Es ist vergebene Liebesmühe auf empirische Belege zu verweisen, empirische Belege dafür, dass die Welt mehr als sechstausend Jahre alt ist, es keine globale Flut gegeben haben kann, die Vielfalt der Sprachen nicht von einem fehlgeschlagenen Turmbauprojekt im Nahen Osten herstammt und so weiter.
Denn unser Be- und Unterbewusstsein sind sehr mächtig. Besonders in Kombination mit tiefen Emotionen. Solange wir emotional an etwas hängen, solange wir an etwas glauben wollen, ist es für uns da. Unsere Intuition eliminiert alle Fakten, die nicht zu unserer Gefühlslage passen. Oder konntest Du schon einmal Menschen positive Dinge abgewinnen, während du auf sie wütend warst?
Das heißt nicht, dass logische Argumente komplett fruchtlos sind. Wie Dr. Rosen im Film sagt: „ Die einzige Art, wie ich ihm helfen kann, besteht darin, ihm den Unterschied zwischen dem, was real und was in seinem Kopf ist, zu zeigen.“ Und es heißt nicht, dass alle Gläubigen unter einer schizophrenen Psychose leiden, auch wenn man schon von einfachen Wahnvorstellungen und Halluzinationen sprechen kann – so hart sich das anhören mag. Der Begriff „Schizophrenie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Spaltung der Seele“.
Gemeint ist das Vorhandensein zweier nebeneinanderstehender Wahrnehmungswelten, d. h. der
Betroffene lebt in zwei „Wirklichkeiten“. Gläubige leben ja auch in der „realen Wirklichkeit“ und einer „Parallelwelt“, die sich in vielen Belangen widersprechen. Aber es
gilt: Schizophrenie ist nicht heilbar, Religiosität sehr wohl schon. Ein Trost sollte auch sein, dass Niemandem so richtig alle unbewussten Vorgänge im Kopf und damit einhergehenden Täuschungen oder verzerrten Wahrnehmungen bewusst sind.
In gewisser Weise kann man von einem dreieinigen menschlichen Geist bzw. Gehirn sprechen: an unterster Ebene das Reptilien-Gehirn, das die einfachen Funktionen wie Atmung, Hunger und Herzschlag steuert, dann das Säugetier-Gehirn, welches Emotionen wie Mitgefühl oder auch Scham beisteuert, sowie das präfrontale menschliche Gehirn. Wir wechseln ständig unbewusst zwischen diesen Ebenen hin und her, sind aber eben auch in der Lage, uns intuitiver Prozesse bewusst zu machen und bewusst irrationalen Reaktionen ausgelöst durch Wut oder Angst entgegen zu treten.
Der Film zeigt aber auch sehr schön, dass die Realisierung des Irrtums durch eine traumatische Situation ausgelöst wurde. Nashs Frau war drauf und dran, ihn in eine Anstalt einweisen zu lassen, als es ihn wie ein Blitzschlag traf.
Die Kirchenführer wollen das natürlich verhindern und empfehlen daher alle möglichen Arten der Selbst-Manipulation, um die Illusion aufrecht zu erhalten. So etwa folgende Aufforderung bei der Oktober-Generalkonferenz vor wenigen Tagen, die mehr mit Gehirnwäsche als Geistigkeit gemein hat und schon überhaupt nichts mit kritischer Auseinandersetzung mit der Realität und Suche nach Wahrheit:
"Lest als Nächstes das Zeugnis des Propheten Joseph Smith in der Köstlichen Perle oder in dieser Broschüre, die in nunmehr 158 Sprachen erhältlich ist. Ihr könnt sie online unter LDS.org finden oder die Missionare um ein Exemplar bitten. Es handelt sich um Joseph Smiths Zeugnis dessen, was sich tatsächlich abgespielt hat. Lest es immer wieder. Überlegt euch, ob ihr das Zeugnis Joseph Smiths nicht mit eigener Stimme aufnehmen wollt. Hört es euch regelmäßig an und spielt es Freunden vor. Euch das Zeugnis des Propheten mit eigener Stimme anzuhören erleichtert es euch, das Zeugnis zu erlangen, nach dem ihr sucht."



Erkenntnis Nummer zwei: Es gibt Spiritualität ohne Gott. Auch als Atheist spüre ich vielfach Ehrfurcht. Beispielsweise in der Natur. Ich verspüre ebenfalls ein Kribbeln auf der ganzen Haut bei bestimmten Anlässen oder bin zu Tränen gerührt von Geschichten wie der, als Adrianne Haslet-Davis zum ersten Mal seit ihrer Beinamputation nach dem Bombenanschlag beim Boston Marathon wieder tanzt: https://www.ted.com/talks/hugh_herr_the_new_bionics_that_let_us_run_climb_and_dance
Liebe und Familie hat nach wie vor einen Wert – vielleicht sogar noch einen größeren angesichts der Endlichkeit. All das hat nichts mit etwas Übernatürlichem zu tun. Auch ist es kein Widerspruch, kein Gegenpol zu wissenschaftlicher Erkenntnis. Egal, wie viel ich über die physikalischen Phänomene, die zur Erscheinung von Regenbögen oder den Verfärbungen am Firmament bei Sonnenuntergängen führen, weiß. All das hält mich nicht davon ab, jedes Mal beeindruckt und gerührt zu sein, wenn ich Derartiges eindrucksvoll erleben darf.
Auch unabhängig von der verlorenen Illusion einer grandiosen Belohnung beziehungsweise schrecklichen Bestrafung in einem Leben nach dem Tod verspüre ich kein Bedürfnis, meine Moral und Ethik über Bord zu werfen. Genau wie vorher erlebe ich Mitgefühl und damit das Bedürfnis zu helfen, ganz gleich, ob mir das Bonuspunkte beim Letzten Gericht einbringt. Auch Atheisten dürfen sich als Teil etwas Größerem sehen und uns dem Mysterium der menschlichen Existenz hingeben, Sinn und Erfüllung in allen möglichen Dingen erfahren. Uns können Dinge nach wie vor "heilig" sein. All das ohne einen Gott. Von diesem Mythos, Atheisten könnten keine Spiritualität und Transzendenz erfahren, dürfen wir uns auch bitte schön verabschieden.Noch ein Mythos weniger. 
Und die Erfahrung der Liebe spielt am Ende des Films auch für den Wissenschaftler Nash - wie es sich für einen Hollywood-Film gehört - die entscheidende Rolle:

Vorkehrungen für letzte alttestamentliche Wiederherstellungen

Salt Lake City, Okt. 2014. Aus vertraulicher Quelle aus dem unmittelbaren Umfeld von Mormonen-Profet Thomas Monson wurde dem Autor mitgeteilt, warum der Profet auf der kürzlich abgehaltenen Generalkonferenz eine alte Ansprache aus dem Jahre 1982 recyceln musste anstelle aktuellerer Warnungen und Gebote verkündigen zu können. Der Hintergrund ist genauso bizarr wie verstörend. Gleichzeitig wirft er ein neues Licht auf die jüngsten Unternehmungen und Veröffentlichungen der Kirche.
Und zwar bereitet die Kirchenführung aktuell die Wiederherstellung der letzten verbliebenen zwei großen biblischen Grundsätze vor. Bereits temporär wiederhergestellt unter anderem die Vielehe, Sklaverei (unter Brigham Young) und nicht zu vergessen Massenmord (Mountain Meadows Massacre). Fehlen nur noch Tieropfer sowie die Kultprostitution oder das Gesetz von Juda und Tamar.
In Vorbereitung auf die Wiederaufnahme von Tieropfern betreibt die LDS-Kirche die größte Rinderfarm in den USA, die Deseret Ranches. Aus diesem Grund kann sich die Kirche aktuell verständlicherweise auch nicht all zu offensiv zur Bekämpfung des Klimawandels äußern.
Weniger bekannt sind die so genannten alttestamentlichen Qedeschen, die als Kultpersonal in der Anfangszeit Judas erscheinen und als »Tempeldirnen« und »Lustknaben« in Bibelübersetzungen zu finden sind. Genesis 38 erzählt von der sexuellen Begegnung zwischen Tamar und Juda als diese sich als Prostituierte verkleidet hatte. Durch die Verwendung der Bezeichnung קְדֵשָׁה qədešāh, was häufig mit „Kultdirne“ o.ä. übersetzt wird, wird deutlich, dass Tamar keine gewöhnliche Hure, sondern vielmehr eine Kultprostituierte war. Analog zum Gesetz von Abraham und Sarah im Zusammenhang mit der Vielehe muss auch die Kultprostitution wiederhergestellt werden. Zumindest für eine gewisse Zeit. Dies wurde nun dem alternden LDS-Profet Thomas Monson als seine letzte große Aufgabe zugewiesen, nachdem ihm im Sommer ein Engel mit flammendem Schwert erschienen war. Die Wiederherstellung der Tempelprostitution soll mit der Eröffnung des Tempels in Rom, Italien einhergehen, wo bereits entsprechende Vorkehrungen getroffen wurden. Gerüchten zufolge soll dafür das in den Plänen überproportionierte Besucherzentrum als Einrichtung genutzt werden (siehe http://www.ldschurchtemples.com/rome/siteplan/). Vermutlich wurde der LDS-Tempel in Rom ausgewählt, da dort die kirchlich sanktionierte Prostitution eine lange Tradition hat.
Trotz der architektonischen Maßnahmen in Rom zögert Thomas Monson nach wie vor, die alte Praxis öffentlich anzukündigen, fürchtet er doch eine verheerend negative Presse und weiter ansteigende Kirchenaustritte. Folglich war er bei seiner letzten Konferenzansprache als Strafe gänzlich auf seine rein menschlichen Fähigkeiten angewiesen und musste daher wegen mangelnder göttlicher Eingebungen auf eine alte Ansprache aus 1982 zurückgreifen. Auch die jüngst veröffentlichten Essays zur Vielehe dienen dazu, die Mitglieder und Öffentlichkeit auf die Wiederherstellung der Tempelprostitution vorzubereiten. Denn wer glaubt, dass Gott einen Engel mit flammendem Schwert zu seinem Profeten schickt, um diesen zu gebieten, ein 14-jähriges Mädchen zu ehelichen und mit ihr Sex zu haben (siehe http://mormonthink.com/joseph-smith-polygamy.htm#teens; und http://thoughtsonthingsandstuff.com/smithskimball-proposition/), der stört sich auch nicht an göttlich befohlener Prostitution. Natürlich ist damit zu rechnen, dass sich viele Mitglieder abgestoßen fühlen, und doch wird dieses Prinzip als Prüfung in Vorbereitung auf das Zweite Kommen dienen. Denn nur, wer bereit ist, Gott in allem zu gehorchen, wird den verheißenen Tag überstehen können. Und Gebote wie "habt einander ein bisschen mehr lieb" sind ja so logisch und ethisch nachvollziehbar, dass sie keine große Prüfung darstellen. Weniger Fleisch zu essen zum Schutz des Klimas wäre für manch ein Mitglied zwar auch eine große Prüfung. Aber dann würde die Kirche nichts mehr mit ihren Ranches verdienen. Daher ist das mit der Prostitution am Tempel die beste Lösung.

Ehe in Gefahr



Gerne wird in der Kirche – besonders beliebt auch in Generalkonferenzen – auf den Niedergang der klassischen Familie, kriselnde Ehen und Werteverfall in der Gesellschaft hingewiesen.

Klar, Scheidungsraten sind in den letzten 50 Jahren sicher gestiegen, ebenso wie der Anteil alleinerziehender Eltern. Aber wird alles wirklich immer schlimmer? Und kann man wirklich pauschal sagen, dass beispielsweise Ehen heutzutage labiler und Ehepartner unglücklicher sind?

Die Antwort lautet: Jein!

Wie aktuelle Studien zeigen, sind heutige Ehen im Durchschnitt schwächer als vor einigen Jahrzehnten, aber dafür sind die besten Ehen deutlich stärker und die Partner glücklicher als in den besten Ehen früher (so eine Meta-Studie der Universität Missouri, siehe http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1741-3737.2007.00393.x/abstract).
Stellt sich die Frage: Warum ist die Schere größer geworden zwischen starken und schwachen Ehepartnerschaften?

Eine Antwort lautet: Ehen funktionieren immer mehr nach dem Prinzip ‚alles oder nichts‘, weil die Ansprüche an die Ehe gestiegen sind und nur diejenigen diese Erwartungen erfüllen, die viel Zeit und Energie in die Partnerschaft investieren (können). So sprechen Soziologen von drei Phasen der Rolle der Ehe in den letzten Jahrhunderten: Bis Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte das so genannte institutionelle Ehe-Modell vor, abgelöst vom kameradschaftlichem Ehe-Modell und schließlich vom aktuell in der westlichen Welt vorherrschenden Selbstverwirklichungs-Modell. Das alles recht analog zur wohlbekannten Maslowschen Bedürfnis-Pyramide. Während die Ehe also heutzutage potenziell höhere Bedürfnisse erfüllen kann und soll, ist das Erreichen dieser Ziele eben auch anspruchsvoller geworden.

Ein paar interessante Details:

  • Ehepartner verbringen signifikant weniger Zeit miteinander gegenüber vor 40 Jahren, zurückzuführen auf gestiegene Zeit auf der Arbeit und zeitintensivere Elternschaft.
  • Wachsende Schere zwischen arm und reich: in den 70er Jahren lag die 10-Jahres-Scheidungsrate bei 28% mit High-School- und 18% mit College-Abschluss; in den 90er Jahren schon bei 46% versus 16%.
  • In einer Studie aus dem Jahr 1999 geht hervor, dass die Scheidungsrate unter Mormonen in USA bei 24% und damit im Durchschnitt liegt. Übrigens ist die Scheidungsrate bei fundamentalistischen Christen wesentlich höher, bei Agnostikern und Atheisten geringer. 
  • Laut anderer Studie beträgt die Scheidungsrate 12% bei Tempelehen und 21% bei nicht im Tempel verheirateten Mormonen sowie über 40% bei Gemischt-Mormonen-Nicht-Mormonen-Paaren. Im Durchschnitt demnach bei 25%, was wiederum ziemlich durchschnittlich ist.
  • Die einfachere und sozial anerkanntere Scheidungsmöglichkeit geht einher mit 20% weniger Selbstmorden von Ehefrauen und signifikant weniger häuslicher Gewalt.
  • Je mehr Partner einander in stereotypischen Rollen sehen, eine traditionelle Rollenverteilung praktizieren und Broterwerb und Kindererziehung nicht gemeinschaftlich betreiben, um so höher die eheliche Unzufriedenheit. Wobei in einer groß angelegten Umfrage überdurchschnittlich viele Mormonen-Ehefrauen sich als sehr glücklich verheiratet einschätzen, während Mormonen-Ehemänner von allen Religionen die geringste Zufriedenheit in der Ehe bescheinigen.
  • In den USA sind verheiratete Ehen mittlerweile nur noch in rund 40% der Haushalte zu finden.
  • Das Heiratsalter steigt kontinuierlich seit den 60er Jahren – und sogar stärker in Utah.

Was folgt daraus?

Nun, die Wirklichkeit ist einfach komplexer als so mancher Kirchenführer uns glauben machen will. Nicht alles wird immer nur schlimmer. Stereotypische Rollen und möglichst frühes Heiraten zu propagieren, ist nicht unbedenklich. Die Zeit zurückdrehen geht auch nicht und ein Rollenverständnis von vor 100 Jahren ist auch nicht wirklich erstrebenswert. Siehe exemplarisch Brigham Youngs Einstellung zu Frauen als Besitztümer und Warnung vor zu viel Zuneigung:

"Älteste, liebt eure Frauen niemals ein Haarbreit mehr als sie das Evangelium beherzigen. Liebt sie nie so, dass man sie bei Warnung nicht augenblicklich verlassen kann, ohne eine Träne zu vergießen. Sollten Sie ein Kind mehr als das lieben? Nein.  Hier sind Apostel und Propheten, die dazu bestimmt sind, mit den Göttern erhöht zu werden, um Herrscher im Reich unseres Vaters und gleich mit dem Vater und dem Sohn zu werden. Und hegen Sie unangebrachte Zuneigung für irgendetwas jenseits dieses Reiches und seiner Herrlichkeit? Wenn Sie das tun, bringen Sie Schande auf Ihre Berufung und Priestertum. In dem Augenblick, indem Personen in dieser Kirche unmäßig Zuneigung für ein Objekt auf dieser Seite des himmlischen Reiches entwickeln, bringen Sie Schande über ihre Aufgabe und Berufung. Wenn Sie Ihre Ehefrauen und Kinder lieben, Ihre Pferde, Kutschen, Ihre schönen Häuser, Ihr Hab und Gut, oder irgendetwas von irdischer Natur liebhaben, bevor Ihre Neigungen zu stark geworden sind, warten Sie, bis Sie und Ihre Familie für das ewige Leben versiegelt sind, und Sie sie wissen, dass sie Ihnen von dieser Zeit an und für immer gehören.“ (Brigham Young, Journal of Discourses, v. 3, S. 354)

Vielfach ist es auch nicht möglich, alles gleichzeitig zu erreichen: niedrige Scheidungsraten und ein hohes Maß an Erfüllung und Freiheit für die Mehrheit. Es ist so ein wenig wie die Untersuchung der Ursachen für den starken Abfall an Kriminalität in US-Großstädten. Ergebnis: Haupteinfluss hatte die Legalisierung der Abtreibung. Das Rezept: weniger ungewollte Schwangerschaften, weniger vernachlässigte Kinder und Jugendliche, weniger Gewalt. Einleuchtend, aber auch zugleich unschön. Oder Studien, die zeigen, dass Ehepartner vielfach nach einer Scheidung glücklicher und die Kinder häufig unglücklicher sind. Es gibt selten einfache, klare Antworten und Lösungen, die alles und jedes besser machen. Vielmehr sind die Zusammenhänge kompliziert und Lösungen erfordern ein Abwägen unterschiedlicher Interessen und positiver versus negativer Folgen. Es war niemals alles gut und das wird es vermutlich auch nicht werden.  Aber vieles wird besser. Dazu ein großartiger, sehr unterhaltsamer Beitrag:
Beziehungsweise Hans Roslings Website:
Oder in deutsch dieser Artikel:
Und der zugehörige Ignoranz-Test unter:

Offenes Gebet



Lieber Vater im Himmel,

vermutlich überrascht es dich, mal wieder von mir zu hören – andererseits wiederum nicht, denn du weißt ja schon alles vorher. Trotzdem wollte ich mich mal wieder melden, um dir einen gut gemeinten Ratschlag zu geben – von Sohn zu Vater gewissermaßen. Also, die Menschheit könnte wirklich mal wieder ein wenig mehr Unterstützung von deinem Erstgeborenen gebrauchen. Beispielsweise in Form von neuer Heiliger Schrift. Ich weiß, dass dein Sohn damit in der Vergangenheit eher sparsam umgegangen ist und die letzte offenbarte Heilige Schrift auch nicht so der Hit war. Vermutlich ist es Jesus jetzt peinlich und er schämt sich für das letzte Werk - das Buch Abraham. Na gut, er hätte schon wirklich ein bisschen besser vorher recherchieren und die Konsequenzen hinterfragen können, aber letztlich war er halt vor zweitausend Jahren in einer zurückgebliebenen Provinz des römischen Reichs ohne vernünftige Bildung und umgeben von Mythen und Legenden aufgewachsen.

Bei allem Verständnis, aber Abraham 1:23-27 ist schon echt übel:
„Das Land Ägypten wurde erstmals von einer Frau entdeckt; sie war die Tochter Hams und die Tochter der Ägyptus, was auf chaldäisch Ägypten bedeutet, was bedeutet: das, was verboten ist;
 als diese Frau das Land entdeckte, war es unter Wasser; und nachher siedelte sie ihre Söhne darin an; und so stammt die Rasse, die den Fluch in dem Land bewahrte, von Ham.
Nun wurde die erste Regierung in Ägypten von Pharao, dem ältesten Sohn der Ägyptus, der Tochter Hams, gebildet, und zwar nach der Art der Regierung Hams, die patriarchalisch war.
 Pharao, der ein rechtschaffener Mann war, begründete sein Königreich und richtete sein Volk weise und gerecht alle seine Tage und trachtete ernsthaft danach, jene Ordnung nachzuahmen, die von den Vätern in den ersten Generationen aufgestellt worden war, in den Tagen der ersten patriarchalischen Regierung, ja, in der Regierung Adams und auch Noachs, seines Vaters, der ihn mit den Segnungen der Erde gesegnet hatte und mit den Segnungen der Weisheit, ihn aber, was das Priestertum betrifft, verflucht hatte.
Nun war Pharao von jener Abstammung, durch die er das Recht des Priestertums nicht haben konnte, obwohl die Pharaonen von Noach her, durch Ham, gern darauf Anspruch erhoben, darum wurde mein Vater durch ihren Götzendienst verleitet;“
Historisch gesehen ist das natürlich alles kompletter Unsinn: vom Namen Ägyptus über die Geschichte der Besiedlung Ägyptens bis hin zum Pharaonentum. So kommt der Name „Ägypten aus dem Griechischen Aigyptos. Und zwar erst tausend Jahre nach der Zeit, in der die Abraham-Erzählungen stattfinden. Das Wort stammt übrigens vom babylonischen Ausdruck Hikuptah, der wiederum abgeleitet ist von der altägyptischen Bezeichnung: hut-ka-ptah = „das Schloss des Ka des Ptah“.  
Die historischen Widersprüche mal beiseite: Besonders tragisch hat sich bekanntlich der Hinweis auf die Restriktion des Priestertums für die verfluchte „Rasse“ Hams ausgewirkt. Rassismus plus geschichtliche Anachronismen sind schon schwer mit göttlicher Vollkommenheit vereinbar. Dumm nur, dass der Brigham das wörtlich genommen hat und es erst hundert Jahre später unter massivem öffentlichen Druck korrigiert wurde.

Auch die angebliche Aufforderung zur Lüge in Abraham 2:22-25 hat sich für die Mormonen nicht gerade positiv ausgewirkt, hat die Passage doch zur Rechtfertigung der Verheimlichung der Vielehe und Schönfärberei der Kirchengeschichte gedient:
„Und es begab sich: Als ich nahe daran war, Ägypten zu betreten, sprach der Herr zu mir: Siehe, Sarai, deine Frau, ist als Frau sehr schön anzusehen;  darum wird es sich begeben: Wenn die Ägypter sie sehen, werden sie sagen—sie ist seine Frau; und sie werden dich töten, sie aber werden sie leben lassen; darum sieh zu, daß ihr es auf diese Weise macht: Laß sie zu den Ägyptern sagen, sie sei deine Schwester; dann wird deine Seele leben. Und es begab sich: Ich, Abraham, erzählte Sarai, meiner Frau, alles, was der Herr zu mir gesprochen hatte: Darum bitte ich dich, sage zu ihnen, du seist meine Schwester, auf daß es mir um deinetwillen wohl ergehe und meine Seele deinetwegen lebe.“
Andererseits sind Notlügen zur Lebensrettung sicher gerechtfertigt. Irgendwie ist es ja auch gut, dass nicht alles nur schwarz-weiß gesehen werden soll.

Das mit dem vorirdischen Dasein und den Intelligenzen ist auf den ersten Blick wirklich clever, scheint es doch zu erklären, warum du nicht schuld bist an all dem durch Menschen verursachten Leid und Übel. Warum so viele Intelligenzen allerdings partout nicht lernfähig sein sollen und warum es gerecht sein soll, dass einfach der eine Geist intelligenter ist als der andere und folglich Pech hat, also eigentlich ja nichts dafür kann, bleibt unbeantwortet. Und musste dein Sohn wirklich noch mal unterstreichen, dass er der Intelligenteste von allen ist?
„Und der Herr sprach zu mir: Diese zwei Tatsachen bestehen, daß es zwei Geister gibt, und der eine ist intelligenter als der andere; es gibt noch einen weiteren, der intelligenter ist als sie; ich bin der Herr, dein Gott, ich bin intelligenter als sie alle.“ (Abraham 4:19)

Während das mit den Intelligenzen echt mal was Neues war, musste dann noch einmal der alttestamentliche Schöpfungsmythos fast 1 zu 1 wiedergekaut werden? War das wirklich notwendig? Kann dein Sohn nicht einfach mal zugeben, dass er nicht alles manuell aus Ton geformt, sondern einfach den evolutionären Prozess von Mutation und Selektion genutzt hat?
„ Und aus dem Erdboden gestalteten die Götter jedes Tier des Feldes und jeden Vogel der Luft und brachten sie zu Adam, um zu sehen, wie er sie benennen würde; und wie auch immer Adam jedes lebendige Geschöpf benannte, so solle dessen Name sein.“ (Abraham 5:20)
Irgendwie ist die Idee ja putzig, dass Jesus mit seinem Team die rund 1,4 Millionen Arten gestaltet und Adam dann benannt hat. Wobei, wenn die Insekten nicht zu den Tieren des Feldes zählen, schon mal eine Million Arten entfallen. Wie dem auch sei, mit dem Mythos macht dein Sohn es vielen Mitgliedern unnötig schwer, die Erkenntnisse der Naturwissenschaften ernst zu nehmen. Klar muss man erst einmal damit klar kommen, dass die Schöpfung eher mit Zufall als mit Planung und Design zu tun hat und der Mensch mit dem Tierreich eng verwandt ist. Eigentlich ist es dennoch völlig überflüssig, dass Mitglieder denken, sie müssten sich zwischen Biologie und ihrem Glauben entscheiden.

Außerdem wäre es auch nicht schlimm, zuzugeben, dass du eben nicht allmächtig bist. Deswegen würden die Menschen doch nicht aufhören zu glauben und dich zu verehren. Wie der gute Jim Holt, Autor von ‘Gibt es alles oder nichts’, so treffend zum Zustand des Universums formuliert hat:
„Sie sind eine Mischung aus Chaos und Ordnung, von mathematischer Eleganz und Hässlichkeit. Also ich würde diese Realitäten als ein unendliches, mittelmäßiges, unvollständiges Chaos, eine gewachsene Wirklichkeit, eine Art kosmischer Tritt in die Weichteile beschreiben. Und gibt es eine Gottheit in einer dieser Realitäten? Vielleicht, aber die Gottheit ist nicht perfekt  wie es die jüdisch-christliche Gottheit ist. Die Gottheit ist nicht vollkommen gut und allmächtig. Sie könnte stattdessen 100 Prozent böswillig, aber nur 80 Prozent effektiv sein, was so ziemlich die Welt beschreibt, die wir um uns herum sehen, denke ich.
Also ich denke, in einer Wirklichkeit zu leben, die mittelmäßig ist, in der es böse und schöne Teile gibt, gibt uns eine Art von Sinn im Leben,  die schönen Teile größer und die bösen Teile kleiner zu machen. Das Universum ist absurd, aber wir können immer noch einen Zweck schaffen, und das ist ein ziemlich guter. Und die gesamte Mittelmäßigkeit der Realität findet einen schönen Widerhall in der Mittelmäßigkeit, die wir alle im Kern unseres Seins fühlen. Und ich weiß, dass ihr sie fühlt. Ich weiß, ihr seid alle etwas Besonders. Aber ihr seid immer noch irgendwie heimlich mittelmäßig, meint ihr nicht?“

Naja, das den Menschen einzugestehen, ist wahrscheinlich doch zu viel verlangt. Apropos zu viel verlangen: Wenn du deinen Erstgeborenen nicht dazu bewegen kannst, uns eine neue, hilfreichere Heilige Schrift zu geben, könntest du ihn bitte wenigstens dazu bringen, bei der anstehenden Generalkonferenz ein wenig einzugreifen. Da hätte ich nämlich auch ein paar Wünsche, auch wenn ich mir die Veranstaltung wohl nicht antun kann. Aber im Interesse aller anderen:
  • Bitte nichts Aufpeitschendes oder Karikaturen von Liberalen, Feministen, Homosexuellen oder in anderer Weise fortschrittlich Denkenden.
  • Bitte nicht wieder Mutterschaft mit Priestertum gleichstellen. Keine stereotypischen Geschichten über die Rolle von Frauen.
  • Bitte kein plumpes Schwarz-Weiß-Getue.
  • Bitte keine Anti-Wissenschafts-Argumente oder naturwissenschaftlichen Unsinn.
  • Bitte Aufhören mit dem buchstäblichen Verständnis von biblischen Geschichten. Also so zu tun, als ob das alles wirklich so passiert ist.
  • Bitte keine Warnung vor Satan. Die Menschen sind selbst dafür verantwortlich, was sie tun.
  • Bitte nicht immer Moral mit nackten Schultern oder Knien verwechseln. Es gibt wirklich wichtigere Themen als die Kleidung der Jugendlichen oder auf jeden Fall der Kinder.
  • Bitte keine Aussagen, dass das Übel in der Welt zunehmen würde, wenn der  Zustand der Welt trotz all der Konflikte und Herausforderungen besser denn je ist.
  • Bitte keine Aufrufe zu mehr Gehorsam gegenüber Kirchenführern oder Gebet und Schriftstudium als Allheilmittel.
Das wär´s dann erst einmal.
Amen.