Würdest du dich eher als Atheist oder Agnostiker sehen?



Neulich wurde ich mal wieder nach meinem Status im Hinblick auf Glaube an Gott gefragt. So richtig wohl fühle ich mich mit keinem der Bezeichnungen, wobei ich Agnostiker noch problematischer empfinde als Atheist. Warum ist das so?
Nunja, einerseits hat es damit zu tun, dass Atheismus als Überzeugung, dass es keinen Gott gibt, verstanden wird. Und dies eben direkt entgegengesetzt zu Theisten, die an einen Gott glauben. Ich sage aber, dass ich nicht weiß, dass es keinen Gott gibt, sondern vielmehr die Argumente, die angeblich für die Existenz eines Gottes sprechen, nicht für ausreichend überzeugend erachte.
Grundsätzlich gilt,
1. wer die Existenz von etwas behauptet, hat die Beweispflicht nicht andersherum
2. besondere Behauptung machen auch besondere Belege erforderlich
3. wenn die Realität einfacher ohne außergewöhnliche Phänomene erklärt werden kann, sollte man die einfache Erklärung vorziehen (und keine intellektuellen Verrenkungen machen)
Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Angenommen ich behaupte, in meinem Garten würden Feen, Elfe und Kobolde leben, so gilt:
1. Niemand muss mir glauben oder darf mir nur widersprechen, wenn er das Gegenteil belegen kann. Die Grundeinstellung sollte skeptisch, aber offen für gute Argumente sein.
2. Das Gefühl, dass da Wesen in meinem Garten existieren, ich des Öfteren von ihnen geträumt habe, mich inspiriert fühle, wenn ich mit ihnen rede oder der Verweis auf die wundersamen Wachstumskräfte und die Vielfalt und Wundersamkeit tierischen und pflanzlichen Lebens sind alle nicht hinreichend, um eine solch fantastische Behauptung glaubhaft zu machen.
3. Natürlich besitzt die Natur eine geradezu magische Faszination, sei es die meditative Wirkung, die sie haben kann oder auch die Faszination, dass Bäume etwa über ihre Wurzeln Informationen untereinander austauschen können. Und auch wenn noch viele Phänomene in der Natur ungeklärt sind, so erklärt Magie und Feenkraft nichts wirklich und erfordert eher Rechtfertigungen für ihre Nicht-Aufspürbarkeit.
Der Vergleich von Gott mit Märchenwesen mag für Theisten an Gotteslästerung grenzen, als ich noch Gläubiger war, hätte ich ihn hingegen aus zwei Gründen nicht Ernst genommen:
1. Spirituelle Erlebnisse können wahnsinnig intensiv sein und wir sperren uns gegen die Vorstellung, unser Gehirn könne uns sozusagen Dinge vorgaukeln. Wir fühlen uns eben als Herr über unser Sein und Handeln, dabei beherrschen uns unbewusste Vorgänge mehr als wir uns das eingestehen wollen. Allein Sätze bilden zu können, ist zumeist ein unbewusster Vorgang, denn nur selten haben wir den ganzen Satz schon im Kopf, wenn wir mit dem Reden beginnen.
2. Als Gläubiger tendiert man dazu, sich nur mit Material auseinanderzusetzen, dass seinen eigenen Standpunkt bestätigt. Die Frage, was, wenn es nicht wahr ist, will man nicht zulassen. Selektiv wählt und behält man sich nur die bestätigenden Erlebnisse, etwa die Gebete, die „erhört werden“. Und die Informationen, die aus gläubiger Quelle stammen, sind eben nicht neutral. Genauso wie der Autoverkäufer nicht objektiv berät und über Schwächen aufklärt, so hört man auch in der Kirche selten davon, auf welch wackeligen Füßen die biblischen Geschichten und Berichte stehen. Stattdessen wird geschönt, verschwiegen und manipuliert.
Insofern ist vielleicht eher der Begriff Skeptiker passend. Auf jeden Fall sollte man als Feen- oder Gottes-Skeptiker eine Antwort auf die Frage haben: Was würde dich von der Existenz überzeugen? Genauso sollte sich der Gläubige eigentlich die Frage stellen: Was würde mich bewegen, meine Position zu revidieren?
Als Gläubiger habe ich die Möglichkeit des eigenen Irrtums ausgeschlossen, aber immerhin aktiv nach neuerer Erkenntnis gesucht, auch kritischer, in der Überzeugung, dass es auf alle Fragen eine Antwort geben müsse. Weil ich so überzeugt war musste ich ja keine Angst vor Information haben. Ich müsste nur wahre und falsche Information trennen und nach Erklärungen für aufkommende Fragen suchen. Irgendwann – nicht wirklich irgendwann, denn an den Punkt und Auslöser kann ich mich noch sehr gut erinnern – war der Glaube nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dem Realitätscheck konnte er nicht standhalten. Und das war nicht im Geringsten gewünscht oder beabsichtigt. Im Gegenteil.  
Jetzt aber zum wahren Grund, warum ich mich schwertue, mich als Atheisten zu bezeichnen. Angenommen es gibt einen Gott, dann stellt sich ja die Frage: Welcher Gott ist es? Und vielleicht noch wichtiger: Wie ist er, sie oder es? Und: Was will er (von uns)? Nun nimmt jede Religion mehr oder weniger für sich in Anspruch, diese Fragen beantworten zu können. Aber eben in nicht unwesentlichen Teilen in erheblichem Widerspruch zu Gläubigen anderer Glaubensrichtungen. Und selbst innerhalb der biblischen Tradition haben sich die Antworten mit der Zeit dramatisch verändert und reflektierten immer auch den jeweiligen Zeitgeist. So war Gott eben mal sehr kriegerisch, dann, als Halbgötter angesagt waren, eben genauso einer und so weiter bis hin zur heutigen Vorstellung, die sich sehr an das moderne Ideal eines Vaters anlehnt – also liebevoll und fürsorglich und weniger auf Gehorsam und Gottesfurcht pochend.
Und sollte es eine Person, Macht, Kraft, Energie oder was auch immer, der/die/das für den ganzen Wahnsinn auf der Welt und im Universum verantwortlich ist und uns idealerweise auch noch positive Gefühle entgegenbringt – also so etwas wie elterliche Liebe –, glauben wir dann wirklich, dass er verehrt werden will, dass man ihm huldigen muss, sich regelmäßig zu seinen Ehren versammeln und irgendwelche Rituale abhalten muss? Das würde doch nur ein Egomane verlangen.
Auf jeden Fall scheint es Gott – so es ihn/sie/es denn gibt  – entweder wenig an klaren und konsistenten Antworten auf die Fragen zu seiner Person und seinem Willen zu liegen oder er hat ein massives Kommunikationsproblem.  Selbst da, wo es angeblich einen sehr direkten Draht zu Gott gegeben haben soll, war es Gott nicht möglich, Joseph Smith das mit der Polygamie oder der Bank in Kirtland auszureden. Weder dass die nordamerikanischen Indianer nichts mit den Protagonisten im Buch Mormon noch, dass die Freimaurerrituale erst im Mittelalter entstanden sind. Oder dass die Erde nicht wenige tausend Jahre alt ist, die Aufzeichnungen bei den ägyptischen Mumien gängige Totentexte enthielten oder Adams Altar wohl kaum noch in Missouri des 19. Jahrhunderts zu sehen sein kann. Auch Brigham Young konnte er wohl nicht vermitteln, dass Sklaverei unmenschlich ist und er selber nicht Adam war. Genauso konnte Gott nicht nachfolgenden Mormonen-Profeten beibringen, dass die Diskriminierung von Schwarzen nicht okay sei, dass Homosexualität nicht durch Masturbation verursacht wird oder der Golfkrieg eine Katastrophe werden würde.
Und das ist ja nur der Anfang der Unsicherheit. Beispielsweise war lange Zeit bei den Mormonen Geburtenkontrolle verpönt genauso wie berufstätiges Muttersein. Auf aktuelle Fragen zu Sterbehilfe, Genetik, Klimawandel, Terrorismus, soziale Ungerechtigkeit usw. hat man auch keine Antworten. Dummerweise hält sich Gott da sehr zurück und die Tipps von Menschen aus der Bronzezeit sind da auch nur bedingt hilfreich.
Auch für individuelle moralische Fragen ist Gott, Bibel & Co. nur eingeschränkt eine Hilfe. Ja, die dem Wanderprediger aus Judäa zugeschriebenen Aussagen in der Bergpredigt sind schön und gut. Daneben gibt es aber selbst im Neuen Testament jede Menge moralisch bedenklicher Empfehlungen, was beispielsweise die Rolle der Frau anbelangt oder den Umgang mit Familienangehörigen mit divergierenden Glaubensansichten.
Alles in allem liefern Religionen und Gott schlicht und ergreifend keine wirklich verlässlichen und sich nicht ständig revidierenden Antworten. Glauben wir ernsthaft, dass Johannes K., geboren 1685 in Hundsdorf im Westerwald, nur dadurch nach vielen Jahrzehnten ins Paradies gelangt, weil ein Teenager unter Verwendung der richtigen Formel in einem speziellen Pool unter Wasser gedrückt wurde?  
Für das wahre Leben und die ernsthafte Suche nach einem erfüllten Leben halte ich Gott und Religion schlicht und ergreifend für irrelevant. Je nach Religion sogar eher gefährlich und schädlich. Der Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg hat recht, wenn er sagt: „Ich denke, dass ein enormer Schaden von der Religion angerichtet wurde - nicht nur im Namen der Religion, sondern tatsächlich von der Religion."„Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Mit oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, dafür bedarf es der Religion."
Daher bin ich, was meinen Alltag anbetrifft, eher ein Apatheist (aus dem grieschischen Apathie=Unempfindlichkeite und Theos=Gott) , was ich einfach mal definiere als: Gottesfragen spielen keine Rolle, sind ohne Belang. Im Hinblick auf fundamentalistischere Ideologien bin ich in der Tat aus eigener Erfahrung sehr kritisch. Dass sich die Menschheit in vielerlei Weltanschauungsfragen nicht großartig gegenüber der Bronzezeit weiterentwickelt hat, ist erschreckend und in gewisser Art und Weise desilllusionierend. Trotz Smartphones und Robotern sind wir Menschen letztlich im Kern in Rudeln lebende Säugetiere mit seit tausenden von Jahren nicht wahnsinnig veränderten Instinkten, Trieben usw.

Zwei Fragen, die sich orthodoxe Mormonen stellen sollten, aber nicht tun



Die klassische Antwort von orthodoxen Mormonen auf kritische Aspekte des Glaubens geht irgendwie so:
„Keiner weiß genau, was in der Vergangenheit war. Wissenschaftliche Erkenntnisse wandeln sich ständig. Daher ist die einzig verlässliche Quelle in Glaubensfragen der direkte Draht zu Gott. Also nur Schriftstudium und Gebet. Und dann die Bestätigung durch den Heiligen Geist.“
Klingt zunächst gut: Für sich selbst herausfinden durch eine Antwort direkt von Gott.
Aber: Woher weiß ich, dass ein Brennen im Herzen und ähnliche Gefühle wirklich von Gott stammt und nicht bloß in meinem Gehirn produziert wird? So wie kognitive Dissonanz Gefühle auslöst.
Die Antwort: Weil man es spürt und Gott es in der Heiligen Schrift offenbart hat? Klingt nach einem Zirkelbezug und nicht nach einem verlässlichen Standard.
Zweite Frage: Wenn die Antwort von Gott stammt, woher weiß ich, wie sie gemeint ist? Oder anders ausgedrückt: Bestätigt Gott damit eindeutig, dass das ganze Paket wahr ist, also: Gott lebt, Jesus Christus auch, Joseph Smith war ein Profet, hat die wahre Kirche wiederhergestellt, Buch Mormon ist wahr, alle folgenden Präsidenten der Mormonenkirche sind Profeten, Seher und Offenbarer mit der exklusiven Vollmacht Gottes, die auf die etablierte Methode weitergereicht wird und so weiter.
Hintergrund: Viele Gläubige anderer Kirchen und Religionen beschreiben sehr ähnliche spirituelle Erlebnisse. Und nein, die Mormonen und Mormonen-Interessierten sind nicht die einzigen Menschen, die Gott um eine Bestätigung ihres Glaubens ersuchen. Jetzt sagen Mormonen dann: „Diese Menschen haben ja auch Zugang zum Licht Christi und ein Anrecht auf Bestätigung göttlicher Wahrheiten. Dass, was ihnen bestätigt wird, ist nicht, dass beispielsweise die katholische Kirche von Gott autorisiert ist, sondern nur, dass die Bibel göttliche Inspiration enthält, Gott und Jesus existieren und so etwas.“
Okay, wenn also Anhänger unterschiedlicher Religionen dieselbe Art von geistiger Erlebnisse erfahren als Antworten auf an Gott gerichtete Bitten um Bestätigung ihres Glaubens und viele die Antwort zu weit fassen, wie kann ich als Mormone sicher sein, dass ich nicht denselben Fehler begehe? Wie kann ich sicher sein, dass die Bestätigung nicht eigentlich nur generell die Existenz eines göttlichen Wesens betrifft nicht aber der speziellen Glaubensrichtung?
Um an die Wahrheit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zu glauben, muss man sich somit quasi blind auf zwei Annahmen verlassen: A. Das Brennen im Herzen kommt wirklich von Gott und ist nicht nur selbst-induziert. B. Das Brennen im Herzen ist die Bestätigung auf genau den Umfang der gestellten Frage und aller damit zusammenhängenden Schlussfolgerungen bzw. Argumentationsketten, das volle Paket eben.
Ob diese Annahmen zutreffen, kann ich nicht überprüfen, nicht hinterfragen, muss ich einfach glauben.

Mehr Gutes als Schlechtes?

Angenommen es gäbe eine Schule in Ihrer Nachbarschaft, die in einem tollen Gebäude untergebracht ist mit hervorragender Einrichtung und Lehrmaterialien, einer ausgezeichneten Mensa, Aula und Sporteinrichtungen. Die Lehrer kümmern sich liebevoll und kompetent um jede Schülerin und jeden Schüler, sind engagiert und verstehen es, die Schüler für ihr jeweiliges Unterrichtsfach zu begeistern. Daneben unterstützt die Schule vielfältige soziale Projekte. Die Absolventen machen in der überwiegenden Mehrzahl tolle Karrieren und begleiten Top-Positionen in Wirtschaft und Politik. Kleiner Wermutstropfen: die Schule akzeptiert keine ausländischen Schüler, Schüler mit Migrationshintergrund, dunkler Hautfarbe oder muslimischen Glaubens. Würden Sie Ihre Kinder dorthin schicken, wo sie doch eine hervorragende schulische Ausbildung genießen würden? Würden Sie sich gar aktiv für eine Beendigung der Diskriminierung einsetzen?

Die Duldung einer solchen schulischen Institution ist kaum vorstellbar. Kaum einer, der die Diskriminierung ablehnt, könnte darüber hinwegsehen, weil sich doch die Schüler wohl fühlen und eine ansonsten hervorragende schulische Ausbildung genießen.

Sobald wir aber von der schulischen in die Sphäre des Glaubens und der Religion wechseln, ändert sich die Einstellung für Viele plötzlich. Für Kirchen ist es keineswegs tabu, rassistische Lehren zu verbreiten, gegen Homosexuelle zu hetzen, Indoktrination zu betreiben oder anti-wissenschaftliche Einstellungen zu propagieren. Würden in Schulen offensichtlich gefälschte und geschönte geschichtliche Hintergründe gelehrt werden, würde die Öffentlichkeit auf die Barrikaden gehen. Bis auf den Religionsunterricht natürlich: auch hier darf kirchliche Propaganda vielfach nahezu ungehindert erfolgen. Oder wird sichergestellt, dass Schüler beispielsweise über den aktuelle Stand der historischen und Textkritik der Bibel aufgeklärt werden. Selbstverständlich spricht nichts dagegen und vieles sogar dafür, dass Schüler über die Inhalte der Bibel aufgeklärt werden.

Problematischer hingegen ist, dass unter dem Deckmantel der Religion Irrsinn verbreitet werden darf, wie die Ablehnung der Evolutionslehre oder dass die Vorfahren der lateinamerikanischen Ureinwohner ihre dunklere Hautfarbe einem göttlichen Fluch verdanken. Wenn es um den Glauben geht, darf widerspruchslos von Adam und Eva, Noah, Abraham, Mose, König David & Co. als historische Persönlichkeiten gesprochen werden, die es wirklich gab statt sie wie Siegfried als Sagenfigur zu behandeln.

Und würde man Kindern homosexueller Paare den Schulabschluss verweigern, wäre das zurecht ein Skandal. Die kirchliche Taufe darf man ihnen aber wie bei den Mormonen verweigern. Einerseits ist Religionsfreiheit und hohes Gut. Dies darf aber nicht als Rechtfertigung für Diskriminierung missbraucht werden. Das abzuwägen ist nicht immer ganz einfach, so wie ja auch Neonazis und Rechtsextreme gerne auf ihr Recht der freien Meinungsäußerung verweisen. Naturgemäß tut sich der Staat und die Presse hier schwer. Davon ungeachtet ist es die Aufgabe jedes Kirchenmitglieds, sich klar gegen Diskriminierung, Geschichtsfälschung, Indoktrination und Wissenschaftsfeindlichkeit zu auszusprechen.

Es ist nicht akzeptabel, wenn die sozialen und emotionalen Vorteile einer Religion in Anspruch genommen und gefeiert werden, während fundamentales Unrecht im Namen dieser Religion ausgeübt wird. Es mag noch so vielen Menschen Trost und Mut spenden, Sinn und Gemeinschaft stiften usw. Intoleranz und das Verursachen von Leid darf nicht toleriert und angesichts des Guten, das gleichzeitig bewirkt wird, beiseite geschoben werden. Die persönliche Befriedigung spiritueller Bedürfnisse darf nicht blind machen gegenüber möglichem Unrecht.

Geistige Erlebnisse

Irgendwas davon vertraut? Warum berichten sie alle von ähnlichen Erlebnissen, ähnlicher spiritueller Bestätigung? Könnte es sein, dass unsere Gefühle nicht sonderlich vertrauenswürdig sind? Wir besser noch einen andere Art von Glaubens-Check einbauen? Oder sind die alle nur fehlgeleitet, ich aber nicht? Könnte es neben optischen Illusionen auch emotionale oder spirituelle Illusionen geben? Könnte uns unser Gefühl so in die Irre führen? 


Abend mit Elder M. Russell Ballard

Einfach großartig, wie viel Hochachtung die Mormonen-Führung für diejenigen aufbringt, die kritische Fragen stellen:

"Nun für Phoebe, Marion und William wurde das Hören eines reinen Zeugnisses zum Katalysator, der ihr Leben für immer veränderte. Das gleiche kann für Ihre Schüler wahr werden. Doch angesichts der Realitäten der heutigen Welt kann ein reines Zeugnis nicht immer ausreichen. Phoebe, Marion, und William waren sauber und rein und waren frei von Pornografie und Weltlichkeit, als sie zu Füßen inspirierter Missionare, Lehrer und Führer saßen. Der Geist drang leicht in ihre weichen und reinen Herzen ein. Heute ist die Sache sehr viel anders, weil einige Ihrer Schüler bereits von Pornografie und Weltlichkeit infiziert wurden, bevor sie Ihre Klassen erreichen."

Pornografie und Weltlichkeit - wer hätte das gedacht? Klar, nur wer Pornos schaut, stört sich daran, dass Joseph Smith 14-jährige Mädels geheiratet, sich sehr unterschiedlich an seine Erste Vision erinnert, das Buch Abraham nicht übersetzt hat und so weiter. Egal. Pornografie ist eine Seuche, eine Epidemie, das aktuell größte Übel der Menschheit.

"Pornografie löst eine öffentliche Gesundheitskrise aus" und "Pornografie verfestigt eine sexuell vergiftete Umwelt", heißt es neuerdings sogar in einem offiziellen Dokument des US-Bundesstaates Utah. Utah ist übrigens der Bundesstaat in den USA, in dem USA-weit die meisten Online-Pornos geschaut. 

Warum das so ist, erklären die so genannten ironischen Prozesse, die der Psychologie Daniel Wegner von der Harvard University experimentell nachgewiesen hat. Ironische Prozesse beschreiben den Tatbestand, dass sich jene Gedanken um so stärker in den Vordergrund drängen, wenn man diese bewusst zu unterdrücken versucht. Also zum Beispiel der Aufforderung nachzukommen, nicht an weiße Bären zu denken. So zeigten Leute, die angewiesen wurden, nicht an Sex zu denken, eine grössere Erregung als solche, die nicht an ein neutrales Thema denken sollten. Der Erregungsgrad wurde dabei anhand der elektrischen Leitfähigkeit der Haut an den Fingern gemessen.

Die Forschungsresultate zeigten, so Wegner, "dass wir unter bestimmten Bedingungen das Schlimmste, was wir denken, tun oder sagen, besser vermeiden können, wenn wir das Vermeiden vermeiden." Der Versuch der mentalen Selbstkontrolle führt zu einer Steigerung des Auftretens unerwünschter Gedanken. Verbote, Unterdrückung wirken eher kontraproduktiv.

Indem Ballard und Konsorten ständig vor Pornografie warnen, verstärken sie also ungewollt den Pornokonsum. Außerdem tragen sie dazu bei, dass aus den dadurch verursachten Scham- und Schuldgefühlen ein Teufelskreis entstehen kann, der bis hin zu Depressionen führt. Und auch bei Antidepressiva ist Utah USA-weit führend. Könnte da ein Zusammenhang bestehen?

Was ist bei der Schöpfung schief gelaufen?

Vor wenigen Tagen in den Schlagzeilen: das schwule Pinguin-Pärchen im Hamburger Tierpark Hagenbeck. Ein wenig Recherche offenbart, dass dies kein Einzelfall ist. Hierzu beispielsweise die renommierte Schweizer NZZ:"Seite an Seite stehen zwei Giraffenbullen und reiben einander mit den Hälsen sanft den Körper. Dann zeigen sich Erektionen. Einer besteigt den anderen und kommt zum Orgasmus. Ein Makakenweibchen sitzt einem anderen Weibchen im Schoss. Eng umschlungen reiben die beiden ihre Genitalien aneinander. Sie saugen sich an den Brustwarzen, schauen sich tief in die Augen, gurren, pfeifen, quieken. Homosexuelles Verhalten ist bei Giraffen weit verbreitet; in einer afrikanischen Region machten die Besteigungen zwischen Männchen 94 Prozent aller sexuellen Akte aus. Und über 40 Prozent der Makakenweibchen pflegen gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte.Giraffen und Makaken sind keine Sonderfälle. Wie der amerikanische Biologe Bruce Bagemihl im Buch «Biological Exuberance» darlegt, ist Homosexualität in der wissenschaftlichen Literatur für 471 Spezies dokumentiert, darunter 167 Säugetierarten, 132 Vögel, 32 Amphibien und Reptilien, 15 Fische und 125 Insekten und andere Wirbellose. Es fehlen in dieser Aufzählung noch die Haustiere, wo bei 19 Arten gleichgeschlechtliche Sexualität beobachtet worden ist, etwa bei Rindern, Schafen, Schweinen und Kaninchen, aber auch bei Pferden, Hunden und Katzen. Bei den Hamstern und Hühnern scheinen sich nur die Weibchen für das gleiche Geschlecht zu interessieren.Bagemihl ist überzeugt, dass diese Liste nur die Spitze des nonkonformen Eisberges ist. Denn von mancher Kreatur, die im tropischen Blätterwerk, in Erdhöhlen oder in der Tiefe der Ozeane lebt, weiss man über das sexuelle Leben noch gar nichts. In anderen Fällen sind sich Männchen und Weibchen äusserlich derart ähnlich, dass manch ein vom Zoologen registrierter Fortpflanzungsakt auch eine homosexuelle Affäre gewesen sein mag. So beobachtete der Walforscher James Darling stundenlang die turbulente Werbung zweier Grauwale um ein Weibchen - und staunte nicht schlecht, als sich plötzlich drei erigierte Penisse über der Wasseroberfläche zeigten.Zum wissenschaftlichen Slapstick verkommen ist das Studium einer Gruppe von Königspinguinen im Zoo von Edinburg: 1915 hatte man den Tieren gemäss ihrem Paarverhalten männliche und weibliche Namen gegeben, doch in den Folgejahren zeigten sich verwirrende Umgruppierungen zu homosexuellen Partnerschaften. Und dann legten plötzlich schwule Pinguine Eier. Immer wieder korrigierten die Biologen ihre Meinung, was Männchen und was Weibchen sei, und als sieben Jahre später das Geschlecht der einzelnen Tiere endlich einwandfrei bestimmt werden konnte, sahen sich die blamierten Fachleute veranlasst, Andrew zu Ann, Bertha zu Bertrand, Caroline zu Charles und Eric zu Erica umzutaufen - einzig Dora konnte ihren Namen behalten. Wie gross das Durcheinander gewesen war, zeigt die Tatsache, dass das Lesbenpaar Bertha und Caroline sich schliesslich als die Homos Bertrand und Charles entpuppten.Was Bagemihl in zehnjähriger Detektivarbeit auf 750 kleingedruckten Buchseiten zusammengetragen hat, öffnet nicht nur den Blick für eine ungeahnte Vielfalt an tierischem Verhalten, es zeigt auch in aller Deutlichkeit, wie scheinbar objektive wissenschaftliche Arbeit von Vorurteilen geprägt sein kann. Eine erste Beobachtung von gleichgeschlechtlichem Sex bei Vögeln machte vor über 200 Jahren der französische Naturforscher Georges-Louis Leclerc de Buffon. Seither gibt es in der wissenschaftlichen Literatur etwa 600 einschlägige Referenzen. Mit wenigen Ausnahmen widerspiegeln diese Hinweise weit eher die moralischen Vorstellungen der Beobachter als das sachliche Geschehen im Tierreich.Da häufen sich Ausdrücke wie «seltsam», «unnatürlich», «abartig», «pervers», «bizarr». Wo ein Bulle einen Geschlechtsgenossen besteigt, ist von einem «homosexuellen Laster» die Rede; gleichgeschlechtliche Beziehungen bei Wasserläufern sind «sexueller Unsinn». Noch 1987 trug ein Artikel über homosexuelle Paarung bei marokkanischen Schmetterlingen den Titel: «Eine Bemerkung zu den sinkenden moralischen Werten bei Lepidoptera».Wer seine Abneigung gegen das animalische Treiben nicht zugeben wollte, hat die Tatsachen irgendwie uminterpretiert. So wurde eine homosexuelle Kopulation bei Schwalben damit erklärt, dass das Männchen seinen Partner mit einem Weibchen verwechselt habe. Das lustvolle Liebesspiel zweier Bonobo-Weibchen (einer Schimpansenart) wurde als Begrüssungsverhalten oder Spannungsregulation klassifiziert. Und als sich zwei Orang-Utan-Männchen oral befriedigten, fand der Zoologe, da liege wohl eher ein ernährungsbedingtes denn ein sexuelles Interesse vor.In sehr vielen Fällen aber wurde homosexuelles Verhalten bei Tieren von der forschenden Gilde einfach totgeschwiegen. War die Angelegenheit in der einzelnen Dissertation oder im Fachartikel allenfalls noch erwähnt worden, im Lehrbuch, im Übersichtsartikel, im Fachvortrag fiel die unpassende Tatsache dann einfach unter den Tisch.Als die Menschenaffenforscherin Linda Wolfe 1991 bei ihren Fachkollegen eine entsprechende (vertrauliche) Umfrage machte, räumten die meisten ein, sie hätten bei ihren Feldstudien tatsächliches schwules und lesbisches Verhalten beobachtet. In der Publikation aber habe man das nicht erwähnt - weil die Beobachtung biologisch nicht einzuordnen gewesen sei oder weil man ganz einfach Angst gehabt habe, bei den Fachkollegen als schwul zu gelten.Homosexualität bei Tieren verdient hohes wissenschaftliches Interesse. Denn sie ist ein starkes Argument gegen das Dogma, animalische Sexualität stehe ausschliesslich im Dienste der Fortpflanzung - und nur die Krone der Schöpfung habe lustvollen Sex, losgelöst vom genetischen Diktat, entdeckt.Die erotische Phantasie der Fauna ist überwältigend. Schwule Bonobos hängen sich mit den Armen an Äste und tragen mit dem erigierten Penis ein veritables Fechtturnier aus. Delphine kommen zur Sache, indem einer dem andern den Penis ins Blasloch auf der Schädeloberseite steckt oder seinem Freund als Vorspiel mit einer Kaskade starker Klicklaute das Geschlecht massiert. Und während Männchen bei den Aztekenmöwen einen Geschlechtsgenossen überfallartig vergewaltigen, auch wenn dieser gerade mit einem Weibchen kopuliert, zeigen andere Tierarten ein Repertoire von höchster Poesie: Da verknutscht ein Murmeltierweibchen erst zärtlich das Ohr ihrer Freundin, bevor sie sie besteigt; Schimpansenmännchen tauschen Zungenküsse aus. Auch sozial ist alles möglich: von der lebenslangen und männerlosen lesbischen Beziehung zweier Füchsinnen bis zur Orgie von fünfzig Walrossbullen, die im seichten Wasser anal verkehren oder mit den Flossen masturbieren, um die Durststrecke bis zum saisonalen Treffen mit den Weibchen zu überbrücken.Homosexuelle Tiere sorgen auch für Nachwuchs. Weisskopf-Lachmöwen und Silbermöwen leben in Kolonien mit Zehntausenden brütender Paare. Homosexuelles Geschehen aufzuspüren ist umso schwieriger, als männliche Vögel keinen Penis haben und die beiden Geschlechter äusserlich nicht zu unterscheiden sind. Den Biologen fiel aber auf, dass in 10 bis 15 Prozent der Nester vier bis sechs Eier lagen anstatt der üblichen zwei bis drei. Analysen brachten es dann an den Tag: Die Nester mit doppeltem Inventar gehörten einem Lesbenpaar, jede der Partnerinnen steuerte ihre Eier bei. Erstaunlicherweise schlüpfen auch aus diesen Gelegen in etwa einem Drittel der Fälle Küken - einigen Lesben gelingt es offenbar, sich zwischendurch bei einem Männchen den nötigen Samen zu holen.Bagemihl erweitert die Diskussion auf jede Art sexuellen Verhaltens von Tieren und findet zahlreiche Beispiele, wo auch Heterosexualität keineswegs nur der Fortpflanzung dient. Das Löwenpärchen, das 1500-mal kopuliert, bis es zur Zeugung kommt, leidet nicht unter mangelnder Fruchtbarkeit. Viele Tierarten begatten sich auch ausserhalb der Brutsaison, wo eine Empfängnis gar nicht möglich ist. Die Kampfläufer, eine Schnepfenart, kennen vier verschiedene sexuelle Identitäten für Männchen. Sesshafte, randständige, vagabundierende und nacktnackige Männchen unterscheiden sich im Federkleid und im Territorialverhalten, und das komplizierte homosexuelle, bisexuelle und heterosexuelle Wechselspiel unter ihnen und mit den Weibchen lässt das Kinderkriegen eher als Nebensache erscheinen. Und Bonobos, Orang-Utans, aber auch grosse Tümmler kennen eine Vielfalt von Stellungen, die sich durchaus mit dem Einfallsreichtum des Homo sapiens messen darf.Bruce Bagemihl kommt schliesslich zum kühnen Schluss, für Homosexualität lasse sich ebenso wie für manche Formen von heterosexuellem Sex kein unmittelbarer biologischer Sinn finden - und den brauche es auch nicht. Dieses Verhalten sei als Teil einer umfassenderen Sexualität vielmehr Ausdruck von Vitalität und natürlicher Üppigkeit, und es drücke wie die biologische Artenvielfalt das Unvorhersehbare und Überraschende im Naturgeschehen aus."
Fragt sich, wie sich der Fehler im Tier- und Menschenreich einschleichen konnte. Oder hat Gott die Schöpfung nicht als gut erklärt? Er war offensichtlich stolz auf sein Werk. Ein wenig Eigenlob ist ja auch okay, schließlich ist eine ordentlich Artenvielfalt entstanden, wenn auch nicht durchgängig heterosexuell. Somit kann man also klar sagen, Homosexualität ist natürlich. Das will nur Putin nicht sehen, genauso wenig wie die saudi-arabischen Spinner und die homophoben Mormonenführer.Wenngleich der ober-homophobe Apostel Boyd Packer schon die richtige Frage in 2010 gestellt hat, nämlich: "Einige meinen, sie seien vorgegeben und sie könnten ihre vermeintlich angeborenen Neigungen zum Unreinen und Widernatürlichen nicht überwinden. Nicht doch! Warum sollte unser Himmlischer Vater dies jemandem antun? Denken Sie daran: Gott ist unser Vater im Himmel." (Frage wurde nachträglich gelöscht, genauso wie der Absatz textlich verändert) Weiterhin sprach er in jener Generalkonferenz davon, man könne die Natur nicht ändern. Richtig! So ist die Natur: da gibt es hetero- und homosexuelle Tiere, Tiere, die monogam leben und andere, die polygam leben, ihre Partner ständig wechseln oder gar nach dem Geschlechtsakt töten. Das Tierreich kann wohl kaum als klarer Maßstab für natürliche, gesunde, glücklich machende Sexualität und Familienbeziehungen herhalten. Genauso kritisch sollte man sein, ein von einem primitiven Völkchen aus der Bronzezeit stammendes Dokument (Altes Testament) als Maßstab für Moral im 21. Jahrhundert heranzuziehen. Denn sonderlich moralisch war das dort beschriebene und angeblich von Gott gut geheißene Gemetzel, Versklaven, Unterdrücken, Opfern usw. beim besten Willen nicht.