Almosen geben oder Armut besiegen

Uwe Lehnert schreibt: „So bewun­derns­wert und aner­ken­nens­wert das Eintreten für den im Augenblick hilfs­be­dürf­ti­gen Mitmenschen ist, ebenso wich­tig und lang­fris­tig noch wich­ti­ger wäre ein Nachdenken über das was Not und Elend her­vor­bringt. An die­ser Stelle hat die Kirche über die Jahrtausende ver­sagt, über Ursache und Abhilfe hat sie sich nie Gedanken machen wol­len.“

Oder Margrit Kennedy (Geld ohne Zinsen und Inflation, S. 75ff.):
"Im Laufe der Geschichte haben viele politische und religiöse Führer, wie Moses, Aristoteles, Jesus, Mohammed, Luther, Zwingli und Gandhi, versucht, die soziale Ungerechtigkeit, die der kontinuierliche Bezug von Zinsen verursacht, durch entsprechende Hinweise oder ein Verbot von Zinszahlungen zu verhindern. So steht in Moses 22,24: "Wenn du deinem Bruder, einem Armen, Geld leihst, so sollst du ihm gegenüber nicht wie ein Wucherer handeln. Ihr dürft ihm keinen Zins auflegen." (31) Und Aristoteles sagte in Politik 1,3: "Der Wucherer ist mit vollstem Recht verhaßt, weil das Geld hier selbst die Quelle des Erwerbs ist und nicht dazu gebraucht wird, wozu es erfunden ward. Denn für den Warenaustausch entstand es, der Zins aber macht aus Geld mehr Geld. Daher auch sein Name (Geborenes). Denn die Geborenen sind den Erzeugern ähnlich. Der Zins aber ist Geld von Geld, so daß er von allen Erwerbszweigen der Naturwidrigste ist." (32)
Übersetzt man den griechischen Urtext wörtlich, so steht bei Lukas 6,35 "Leihet, ohne etwas dafür zu erhoffen" (33), und das Konzil von Nicäa im Jahr 325 nach Chr. verbot allen Klerikern das Zinsnehmen. Die Strafe bei Übertreten des Verbotes war die sofortige Entfernung aus dem Amt. 1139 beschloß das zweite Lateranskonzil: "Wer Zins nimmt, soll aus der Kirche ausgestoßen und nur nach strengster Buße und mit größter Vorsicht wieder aufgenommen werden. Einem Zinsnehmer, der ohne Bekehrung stirbt, soll das christliche Begräbnis verweigert werden.
Martin Luther (1483-1546) wendete sich in mehreren Schriften leidenschaftlich gegen Wucher und Monopole: "Darum ist ein Wucherer und Geizhals wahrlich kein rechter Mensch; er sündigt auch nicht eigentlich menschlich. Er muß ein Werwolf sein, schlimmer noch als alle Tyrannen, Mörder und Räuber, schier so böse wie der Teufel selbst. Er sitzt nämlich nicht als ein Feind, sondern als ein Freund und Mitbürger im Schutz und Frieden der Gemeinde und raubt und mordet dennoch greulicher als jeder Feind und Mordbrenner. Wenn man daher die Straßenräuber, Mörder und Befehder rädert und köpft, um wieviel mehr noch sollte man da erst alle Wucherer rädern und foltern, alle Geizhälse verjagen, verfluchen und köpfen..."
Der Reformator Ulrich Zwingli (1484-1531) ging in Richtung Säkularisierung einen Schritt weiter, indem er einerseits den Zins für ungöttlich und unchristlich erklärt, andererseits dem Staat das Recht zuerkennt, den Zinsfuß festzusetzen.
Sie alle wußten wohl um die Ursache des Problems, boten jedoch keine praktikable Lösung an, wie der Geldumlauf gesichert werden konnte, und damit blieb der grundlegende Fehler im System bestehen. Das Zinsverbot der Päpste im europäischen Mittelalter, auf Grund dessen Christen, die Zinsen nahmen, exkommuniziert wurden, verlagerte beispielsweise das Problem auf die Juden, denen es erlaubt war, von Menschen anderer Religionszugehörigkeit Zinsen zu nehmen. Letztere wurden seit dieser Zeit immer mehr zu den fahrenden Bankiers der Welt. Bereits durch das alte Testament wurde den jüdischen Gemeinden vermittelt, daß Zinsen auf Dauer jeden sozialen Organismus zerstören. Deshalb wurde von alters her das "Jubeljahr" akzeptiert, der Erlaß aller Zinsen und Schulden im Durchschnitt nach jeweils 7 Jahren. Sicherlich konnte damit der Schaden, den der Zins anrichtete, begrenzt, eine dauerhafte Lösung aber nie erreicht werden.
Während die Führungsspitze der katholischen Kirche in Lateinamerika dem westlichen Modell des Kapitalismus zuneigt, orientieren sich die Priester an der Basis eher am kommunistischen Modell. (37) In einem zinsfreien Geldsystem könnte jetzt die historische Chance einer Lösung liegen, die weder kapitalistisch noch kommunistisch ist, sondern über beide hinausgeht. Sie würde in weit höherem Maße Gerechtigkeit sichern als jedes denkbare Hilfsprogramm. Sie würde eine stabile Wirtschaft ermöglichen und die Bemühungen der Kirche um den Frieden in der Welt erheblich unterstützen.
Heutzutage fordern die Kirchen immer wieder zu Spenden auf, um die Folgen des Umverteilungsprozesses durch das Geldsystem und die härtesten sozialen Probleme sowohl in den industriell entwickelten, als auch in den Entwicklungsländern zu lindern. Dies ist jedoch nur ein Kurieren an den Symptomen, das den Systemfehler im Geldwesen nicht berührt.
Ein Zinsverbot besteht auch in den Islamischen Ländern. Hier zahlt man für einen Kredit keine Zinsen, stattdessen wird die Bank, die das Geld leiht, zum Teilhaber im Geschäft - und später an den jeweiligen Gewinnen. Das mag in einigen Fällen besser, in anderen schlechter sein als Zinszahlungen. Es ändert sich aber nichts an dem Tatbestand, daß Besitzende auf Kosten anderer Einkommen beziehen.
Das spirituelle Wissen und die spirituellen Techniken, die sich in vielen Teilen der Welt verbreiten, weisen auf tiefgreifende Bewußtseinsänderungen bei einer zunehmenden Zahl von Menschen hin. Ihre Arbeit für inneren Wandel legt die Basis für äußeren Wandel, in dem die friedliche Transformation des Geldsystems ein wichtiger Aspekt ist. Deshalb liegt eine große Verantwortung bei all jenen, die sich humanitären Zielen verpflichtet fühlen, die praktischen Möglichkeiten durch eine Geldreform genauer zu erkennen, als das bisher der Fall war"

Vergeblich werden wir bei der letzten Generalkonferenz Antworten auf oben genannte Fragen zu globaler Gerechtigkeit und Verhinderung von Armut suchen. Stattdessen finden wir diverse "Almosen-Ansprachen". Die schlimmste von  Elder Robert C. Gay mit der irrigen Aussage:

"Als ich an dem Abend nach Hause fuhr, wurden mir zwei große Wahrheiten bewusst. Erstens wusste ich wie nie zuvor, dass Gott auf einen jeden von uns achtet und uns nie im Stich lässt, und zweitens, dass wir immer auf die Stimme des Geistes in uns hören und ihr „sogleich“ folgen müssen, wohin sie uns auch führt, ungeachtet aller Ängste oder Unannehmlichkeiten."

"...uns nie im Stich lässt..."? Was ist mit den eine Milliarde Menschen, die täglich hungern und allein 10.000 Kinder, die jeden Tag verhungern. Angesichts dessen kann man seine Aussage nur als zynisch oder naiv westlich betrachten. Denn auch dem Jungen wurde nur kurzfristig geholfen und wieder seinem Elend ausgesetzt.


Jeden Tag zahlen die Länder Dritten Welt 200 Millionen Dollar an Zinszahlungen; diese Menge ist doppelt so groß wie die "Entwicklungshilfe", die wir ihnen gewähren. Das, was Wohlfahrtsorganisationen jedes Jahr mit viel Aufwand "zusammenbetteln", reicht der Dritten Welt gerade, um den Zinsverpflichtungen für dreieinhalb Tage nachzukommen. Dies soll natürlich nicht heißen, dass diese eingestellt werden sollte. Wir sollten uns schon fragen, ob die Spenden primär dazu dienen, uns ein gutes Gefühl zu verschaffen, statt das Übel an der Wurzel zu packen bzw. zumindest ernsthafte Anstrengungen dahingehend zu unternehmen oder allerwenigstens ernsthafte Gedanken zu machen. Hier wäre dann ein wirklicher Seher hilfreich.