Wie alles begann

Zu den Grundpfeilern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage / Mormonen, die verschönt, vereinfacht und mythologisiert dargestellt werden, gehören:
  • Joseph Smiths Erste Vision
  • Erscheinung Moronis
  • Übersetzung des Buches Mormon von den Goldenen Platten
  • Übertragung von Priestertumsvollmacht durch Johannes den Täufer sowie Petrus, Jakobus und Johannes

Joseph Smiths Erste Vision

1830 erstes kurzes Statement jetzt in LuB 20:5, „dass er Vergebung seiner Sünden empfangen hatte“.

1832 erster Bericht Joseph Smiths:
„…Ich schrie zum Herrn um Gnade, denn es gab niemanden anderen, an den ich mich wenden konnte, um Gnade zu erlangen, und der Herr hörte meine Schreie in der Wildnis, und während ich so den Herrn in meinem 16. Lebensjahr anrief, kam von oben eine Säule aus Licht, heller als die Mittagssonne, und ruhte auf mir und ich wurde mit dem Geist Gottes erfüllt und der Herr öffnete mir die Himmel und ich sah den Herrn und er sprach zu mir und sagte: Joseph, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben, gehe deines Weges, wandle in meinem Gesetz und halte meine Gebote. Wahrlich, ich bin der Herr der Herrlichkeit, ich wurde für die Welt gekreuzigt, damit alle, die an meinen Namen glauben, ewiges Leben haben mögen. Siehe, die Welt liegt jetzt in Sünde und nicht einer tut Gutes, sie haben sich vom Evangelium abgewandt und halten meine Gebote nicht, sie nähern sich mir mit ihren Lippen, aber ihre Herzen sind weit von mir und mein Zorn ist gegen die Einwohner der Erde entbrannt, ich werde sie wegen ihrer Gottlosigkeit heimsuchen und das zustande bringen, was ich durch den Mund der Propheten und Apostel gesprochen habe. Wahrlich, ich komme schnell, wie es von mir geschrieben steht, in einer Wolke, umhüllt von der Herrlichkeit meines Vaters. Und meine Seele war mit Liebe erfüllt und viele Tage lang konnte ich mit großer Freude jubeln und der Herr war mit mir. Aber ich konnte niemanden finden, der die himmlische Vision glauben wollte.“

Was hieraus hervorgeht ist:
  • Joseph sah die Erscheinung als persönliche Bekehrung und nicht als Berufung zu irgendeinem Werk.
  • Josephs Motivation war, Vergebung für seine Sünden zu erlangen und nicht herauszufinden, welche Kirche richtig sei.
  • Joseph berichtet von der Erscheinung des Herrn und nicht von Gott Vater und Sohn.

Drei Jahre später hatte sich seine Geschichte schon leicht geändert:
"Verwirrt in meinem Geist in Bezug auf den Gegenstand der Religion und die verschiedenen Systeme betrachtend, die den Kindern der Menschen gelehrt werden, wusste ich nicht, wer Recht hatte oder Unrecht hatte und ich hielt es von höchster Wichtigkeit, dass ich Recht habe in Angelegenheiten, die von ewigen Auswirkungen sind. Da ich so ratlos war, zog ich mich in den stillen Hain zurück und neigte mich nieder vor dem Herrn ... Ich rief den Herrn zum ersten Mal an dem oben genannten Ort an oder in anderen Worten ich machte einen vergeblichen Versuch zu beten ... Ich rief den Herrn in machtvollem Gebet an, als eine Feuersäule über meinem Kopf erschien, sie sank auf mich herab und erfüllte mich mit unaussprechlicher Freude, eine Person erschien in der Mitte dieser Flammensäule, die rundum verteilt war, und doch nichts versenkte, ein anderer Person erschien bald wie die erste, sie sprach zu mir: „Deine Sünden sind dir vergeben“. Er bezeugte, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist; und ich sah viele Engel in dieser Vision. Ich war ungefähr 14 Jahre alt, als ich diese erste Mitteilung erhielt. Als ich etwa 17 Jahre alt war, sah ich eine weitere Engelsvision in der Nacht, nachdem ich mich ins Bett zurückgezogen hatte..."

Die wichtigsten Inhalte:
  • Verwirrt über Religion  
  • Alter 14 (1820)  
  • Vision von zwei unidentifizierten Personen
  • Der Sprecher war weder Jesus noch Gott Vater, da er von Jesus als Sohn Gottes Zeugnis ablegte (beides als dritte Personen) 
  • Sah viele Engel
  • Ihm wurde gesagt, seine Sünden seien vergeben
  • Mit 17 hatte er eine weitere Vision

Spielte sich die Vision zunächst  in Josephs Geist ab, wurde die Vision nun schon viel realer als wirkliche Erscheinung dargestellt.

1838 verfasst Joseph Smith eine neue Version, die jetzt offiziell als Joseph Smiths Lebensgeschichte gilt. Darin wird die Erste Vision umgedeutet, spektakulärer dargestellt und in Beziehung zu religiösen Erweckungsbewegungen in der Gegend gesetzt. Da das Erlebnis nicht wirklich außergewöhnlich und als rein persönlich gesehen wurde, spielte die Erste Vision in der Kirche vor 1838 keine Rolle. Wie LuB 20:6-11 zeigt, wird Joseph Smiths Autorität und Beginn seiner Berufung auf das Erscheinen Moronis und die Übersetzung des Buches Mormon zurückgeführt.

Was hatte sich also 1838 verändert?

Ende 1837 bis April 1838 fand ein dramatischer Abfall von der Kirche statt (rund 15% verließen die Kirche), da die Kirtland Bank zusammengebrochen und Martin Harris verkündet hatte, keiner der Zeugen des Buches Mormon habe die Platten mit seinen natürlichen Augen gesehen. Unter diesen Umständen wurde zunächst die Kirche umbenannt und am darauf folgenden Tag begann Joseph Smith, seine Geschichte neu zu diktieren, wie es dort heißt „Infolge der vielen Gerüchte, die von übelgesinnten und hinterhältigen Leuten über Entstehung und Fortschritt der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Umlauf gesetzt worden sind und die alle von ihren Urhebern ersonnen worden sind, um der Kirche als solcher und ihrem Fortschritt in der Welt entgegenzuwirken.“

Übertragung der Priestertumsvollmacht

Ein ähnliches Phänomen wie hinsichtlich der Ersten Vision lässt sich bei den Berichten zum Erscheinen Johannes des Täufers sowie von Petrus, Jakobus und Johannes zur Übertragung von Priestertumsvollmacht erkennen: Was als spirituelles Erlebnis begann, wurde später eindrucksvoller und als reales Erscheinen ausgegeben. Vor 1834 wurde nur davon gesprochen, dass Joseph und Oliver das Gebot und die Vollmacht zur Taufe durch den Urim und Thummim während der Übersetzung von 3. Nephi aus dem Buch Mormon erhielten. Die Vollmacht zur Ordinierung als Älteste soll im Hause Whitmer durch die Stimme des Herrn erteilt worden sein. 1834 spricht Oliver Cowdery dann plötzlich davon, dass sie das Priestertum durch Engel erhalten hätten, während sie eine Vision hatten. Genauso hätten sie am Flußufer Satan als Engel des Lichts gesehen und Michael, der ihn vertrieben hat. Und schließlich wurde es als physisches Erscheinen von Engeln mit Händeauflegen erklärt.

Was war wiederum der Grund für den Wandel?

Ende 1833 hatten im Zusammenhang mit dem Misserfolg des Zions-Camps mehrere Mitglieder die Vollmacht Joseph Smith öffentlich angezweifelt und Untersuchungen hinsichtlich der Vergangenheit Joseph Smiths als Schatzsucher gestartet. Folglich wurden die dazugehörigen Verse in LuB 27:8 und LuB 7 nachträglich hinzugefügt, denn in der Ausgabe von 1833 waren sie noch nicht enthalten.

Die Zeugen der Goldenen Platten

Auch das Zeugnis der 11 Zeugen im Hinblick auf die Goldenen Platten ist nicht so buchstäblich zu verstehen, wie es dargestellt wird. Alle 11 Zeugen teilten eine magische, aus heutiger Sicht abergläubische Weltsicht mit Hexen, Geistern, magischen Ritualen, Amuletten, Flüchen usw. Martin Harris hat auch bezeugt, bei einer Schatzsuche 1827 eine Schatzkiste mit Porter Rockwell zusammen gefunden zu haben, die durch unsichtbare Mächte wieder ins Erdreich hinabgleitete. Mit Hilfe von Sehersteinen wurden derartige Schätze und ihre Schutzgeister angeblich in den Hügeln gesichtet. An Ort und Stelle wurden dann magische Kreise mit speziellen Dolchen um die vermeintlichen Fundorte gezogen und mit durch Hühnerblut oder Schweinekot getränkte Stöcke abgesichert, so dass die wachenden Geister diese nicht entfernen könnten. Genauso glaubte Oliver Cowdery, durch Wünschelruten ebenfalls Geheimnisse lüften zu können. Zusammen mit David Whitmer hatten sie angeblich einen Nephiten mit Aufzeichnungen herumlaufen sehen. Ebenso besaß Hiram Page Sehersteine. David Whitmer behauptete noch in den 1870er Jahren, sein Enkel könne Schätze in Höhlen sehen sowie am Nordpol Riesen und am Südpol Lilliputaner. Kurzum alle Zeugen glaubten an Hellsehen und das zweite Gesicht und hatten diverse angebliche Erfahrungen mit Indianer- und Piratengeistern, Engeln und unterirdischen Schatzkammern mit Büchern und Schätzen. Angeblich konnten sie im Hügel Cumorah Wagenladungen voll mit Aufzeichnungen und Gold sehen. Das haben Heber C. Kimball und Brigham Young bestätigt. Und auch William W. Phelps erzählt davon, dass Joseph, Hyrum, Oliver Cowdery und die Whitmers zum Hügel Cumorah liefen, sich eine Tür öffnete und sie in einen Raum traten mit den Goldenen Platten, dem Schwert Labans usw. David Whitmer spricht davon, dass sie im Geist Dinge sehen konnten als seien sie tatsächlich da. So konnte auch James Strang nach dem Tod Joseph Smiths sieben Zeugen finden, die bestätigten, dass er genau wie Joseph Platten gefunden hatte (als Buch des Gesetzes des Herrn angeblich übersetzt). Zunächst konnte er auch mehrere der Zeugen des Buch Mormons als Anhänger gewinnen.

Dies zeigt, dass man die Zeugenaussagen mit Vorsicht betrachten und die abergläubische Weltanschauung der Zeugen berücksichtigen muss.

Als sich die Anhängerschaft Joseph Smiths über seine Schatzsucher-Gruppe hinaus ausweitete, wurden die magischen Anfänge und Hinweise mehr und mehr zurückgedrängt und nachträglich entfernt. So wurde beispielsweise aus der Offenbarung an Oliver Cowdery hinsichtlich seiner göttlichen Gabe die Worte bzgl. Wünschelruten entfernt.

Übersetzung des Buch Mormons

Der Aberglaube von Joseph Smith und seiner Familie zeigt sich auch im Bericht vom Erlangen der Goldenen Platten. Joseph Smith war so eine Art Hellseher der Gegend und leitete die Schatzsuch-Expeditionen an, wurde jedoch auch bei verlorenen Pferden usw. konsultiert.  Die Erscheinung Moronis und der Bericht von verborgenen Aufzeichnungen war keine Überraschung. Joseph Smith hatte mit seinem Seherstein im Hut ständig Visionen und Träume von verborgenen Schätzen. Und nach Auskunft Oliver Cowderys hatte Joseph Smith am 21. September 1823 intensiv versucht, mit einem überirdischen Wesen in Kontakt zu treten. Warum erinnerte er sich so genau an das Datum? Weil Datum und Uhrzeit eine besondere astrologische und magische Bedeutung hatten. Die weiteren Erlebnisse passen genau in das magische Schatzsucher-Schema:
  • 3 Besuche waren ein Zeichen für die Wichtigkeit und Realität.
  • Um den Schatz zu erlangen, mussten die Regeln genau beachtet werden.
  • 3 Versuche, um den Schatz zu erlangen mit Einjahres-Bewährung.
  • Richtige Begleitung notwendig, um Schatz zu erlangen (erst Alvin, dann Emma – als Alvin Tod war, gab es sogar Gerüchte, die Smiths hätten seine Leiche geschändet, um dadurch den Schatz bergen zu können, was Joseph Smith Sr. in mehreren Zeitungsinseraten bestritt)
  • Richtige Kleidung notwendig (schwarzer Anzug und Pferd).
  • Richtiger astrologischer Zeitpunkt.
  • Die Aufzeichnungen/Schätze werden von Geistern bewacht, die sie ursprünglich vergraben haben (übrigens wurde Moroni als der Engel von 1823 erst 1835 identifiziert - vorher hatte er keinen Namen - und 1838 hat Joseph Smith erklärt, es sei Nephi gewesen).
Nach dem angeblichen Erlangen der Goldenen Platten begann die Verfolgung Joseph Smiths nicht wegen der Behauptung an sich, sondern weil er den ‚Schatz‘ nicht mit seinen früheren Schatzsucher-Kumpanen teilen wollte. Die Übersetzung selber erfolgte mit dem gleichen Seherstein, den Joseph zuvor für die Schatzsuche verwendet hatte, indem er diesen in einen Hut legte, sein Gesicht darin verbarg und dann diktierte. Die Platten selber hat er für die ‚Übersetzung‘ nicht verwendet.

Man sieht also, dass die Ursprünge der Kirche einen magischen Hintergrund haben. So wurde auch die Kirche nicht etwa an einem Sonntag, sondern einem speziellen astrologisch günstigen Dienstag gegründet. Für die ersten Mitglieder der Kirche vermischte sich Traum, Vision und Realität sowie Astrologie, Magie und Religion. Neben der intensiven Mitwirkung an magischen Ritualen und Praktiken war Joseph Smith auch intensiv an der Erweckungsbewegung beteiligt und diente als ‚Ermahner‘ bei den Methodisten.

Ist das Buch Mormon die Übersetzung eines alten Dokuments oder das Produkt Joseph Smiths?

Viele Fachleute sind sich einig: das Buch Mormon ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Dies insbesondere aus folgenden Gründen:

1. Widersprüche zu archäologischen Funden und Erkenntnissen über die vorkolumbischen amerikanischen Kulturen
  • Keinerlei Hinweise Pferde und Wagen
  • Keine domestizierten Tiere wie die genannten Schafe, Schweine, Rinder (ganz zu schweigen von den erwähnten Elefanten)
  • Keinerlei Hinweise auf Weizen und Gerste
  • In Mesoamerika gab es keine Metallverarbeitung und somit auch keine Schwerter aus Stahl
  • Wein- und Olivenölherstellung war unbekannt (mit dem Gleichnis vom Ölbaum hätte niemand etwas anfangen können)
  • Münzen gab es nicht
  • Keinerlei Hinweise auf hebräischen und ägyptische Sprache
  • Unrealistische Bevölkerungszahlen
  • Unrealistische Zahlen hinsichtlich Truppenstärken (vor Schusswaffen und modernen Logistikmöglichkeiten nie mehr als ein paar Hundert Soldaten in Schlachten)
  • DNA-Analysen zeigen keine semitische Herkunft von Indianerstämmen und Besiedlung vor rund 16 Tausend Jahren
  • Plötzliche Hautpigmentänderung der Lamaniten
2. Verwendung von Phrasen und Zitaten aus der King James Version der Bibel
  • In Moroni 7 findet man die berühmten Worte des Paulus aus 1. Korinther 13
  • Hunderte von Ausdrücken aus der King James Version der Bibel finden sich wieder
  • Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass Jesus die Bergpredigt auf dem amerikanischen Kontinent so wiedergegeben hat, wie sie in Matthäus 5-7 zu finden ist
  • Das Buch Mormon zitiert 433 Verse aus Jesaja, darunter Teile, die erst in der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft entstanden sind – also nachdem Nephi und Lehi längst in Amerika waren
3. Christologie und Theologie des 19. Jahrhunderts
  • Fast wortwörtliche Übereinstimmung zwischen dem Westminster Bekenntnis der Presbyterianischen Kirche von 1729 und Alma 40
  • Mosia und Alma ist voll von der Erweckungs-Rhetorik der 1820er Jahre - bspw. die Rede König Benjamins mit Turm, Predigt von der Nichtigkeit des Menschen bis hin zum Umfallen bei der Bekehrung (diese Rhetorik hatte großen Erfolg in der Bekehrung von Menschen damals und ist eine Erklärung dafür, dass sie uns auch heute anspricht und Christus näher bringt)
  • Theologische Fragen des 19. Jahrhunderts zur Errettung werden adressiert
  • Im Alten Testament unbekannte Lehren über Christus, Auferstehung usw. werden gelehrt
Hätte Joseph Smith das Buch Mormon selbst schreiben können?

Seine Mutter, Lucy Mack Smith, erzählte einmal folgende Geschichte über ihren 18-jährigen Sohn Joseph: „Während unserer abendlichen Unterhaltungen beschrieb Joseph die alten Bewohner dieses Kontinents, deren Kleidung, Art und Weise der Fortbewegung und die Tiere, auf denen sie ritten; deren Städte, Gebäude und dies mit großer Genauigkeit; deren Art der Kriegsführung und auch deren religiöse Verehrung. Dies tat er mit solcher Leichtigkeit, als ob er sein ganzes Leben unter ihnen verbracht hätte.“

Dies war im Jahre 1823, also lange bevor Joseph Smith mit der Übersetzung des Buches Mormon begonnen hatte.

Woher hatte er damals eine Vorstellung vom Leben der alten Indianer?

Nun, zunächst muss man wissen, dass Joseph zwar wenig gebildet aber dafür intelligent war und einiges an Phantasie hatte. Weiterhin gab es zu dieser Zeit eine allgemeine Auffassung über die Herkunft und Lebensweise dieser Menschen, die in etlichen Büchern zu finden war. Viele dieser Bücher waren Joseph Smith bekannt oder zumindest zugänglich. Es ist falsch anzunehmen, dass die Ideen um das Buch Mormon neu oder einzigartig waren. Viele der Bücher dieser Zeit sprachen davon, dass die verlorenen zehn Stämmen die Vorfahren der Indianer seien. Sie berichteten von zwei sich rivalisierenden Gruppen, einer weißen Gruppe, die durch Krieg vernichtet wurde usw.

So unglaublich es für viele Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage / Mormonen klingen mag, aber auch ein Präsident der Siebziger und einer der größten Gelehrten und Historiker der Kirche, B.H. Roberts, kam zur Auffassung, dass Joseph Smith Themen für das Buch Mormon aus anderen Büchern der damaligen Zeit entlehnt haben könnte.
Nachdem Roberts das Buch View of the Hebrews von Ethan Smith studiert hatte, welches 1825 publiziert wurde, zeigte er 18 Parallelen zwischen diesem und dem Buch Mormon auf und schrieb:
„Ein weiteres Thema bleibt hier noch zur Betrachtung übrig… - besaß Joseph Smith eine ausreichend lebhaftes und kreatives Vorstellungsvermögen, um aus solchem Material, wie in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigt, das Buch Mormon zu schreiben…. Dass solche Vorstellungskraft von einer höheren Ordnung stammt wird hier zugestanden und es besteht kein Zweifel, dass Joseph Smith einen solch begabten Kopf besaß…..
Im Licht dieser Beweise kann es keinen Zweifel geben, dass Joseph Smith, der Prophet, im Besitz einer solchen lebhaften, starken und kreativen Vorstellungskraft war. Eine Vorstellungskraft die es ihm ermöglichen würde - mit den Vorstellungen, die im ‘Allgemeinwissen’ über anerkanntes amerikanisches Altertum der damaligen Zeit gefunden wurden, unterstützt durch ein Werk, wie Ethan Smiths View of the Hebrews - ein Buch wie das Buch Mormon zu entwerfen.”

Parallelen zwischen dem Buch Mormon und View of the Hebrews:
  • Dieselbe Herkunft: Die Indianer sind wirklich Israeliten
  • Dieselben Merkmale: Die Indianer waren einst sachkundig in Literatur, Kultur und Religion
  • Die selbe Hervorhebung: Jesaja und die Wiederherstellung Israels
  • Dieselbe Ansicht: Die Amerikaner sind prophetisch berufen, den Indianern das Evangelium zu predigen.
  • Dieselbe Einwanderungsroute: Eine lange Reise nordwärts, finden „Viele Wasser” (Jarediten).
  • Dasselbe Schicksal: Eine Teilung in zivilisierte und barbarische Gruppen. Die Zivilisierten werden schließlich vernichtet.
  • Dieselbe Kultur: Die Ureinwohner Amerikas sollen Menschen der Eisenzeit gewesen sein.
  • Dieselbe Herkunft: Alle Rassen stammen von einer Familie. Alle Sprachen entstammen dem Hebräischen.
  • Dieselbe Religion: Die Vorfahren der Indianer dienten dem Großen Geist aber verfielen dann in Götzendienst.
  • Dieselben Schriften: Ein „verlorenes Buch Gottes”, welches in einem indianischen „Hügel” vergraben wurde.
  • Dieselben Einrichtungen: Militärische und heilige Türme. Von der Monarchie zur republikanischen Regierung.
  • Dasselbe Christentum: Das Evangelium und Christus waren im alten Amerika bekannt.
War Joseph Smith ein Betrüger oder handelt es sich um „inspirierte Fiktion“?

Auch in der Bibel - sowohl im Alten als  auch Neuen Testament - besteht das Problem der Existenz so genannter pseudonymer bzw. pseudographischer Schriften und damit die Frage nach der Authentizität und Wahrheit biblischer Schriften bzw. deren göttliche Inspiration.

Die heutige Bibelforschung nimmt an, dass einige biblische Bücher oder Teile davon, fälschlicherweise den genannten Verfassern zugeschrieben werden. Das heißt, unbekannte Autoren haben die ‚großen‘ Namen wie Mose & Co. genutzt, damit ihre Lehren Beachtung finden. Beispielsweise werden im Alten Testament viele Psalmen, die König David zugeschrieben werden, Deuteronomium sowie das Buch Daniel als Pseudepigraphien gewertet; im Neuen Testament werden manche Briefe aufgrund der im Text angegeben Verfasserangaben zu den Pseudepigraphen gezählt, wie beispielsweise der Kolosserbrief, der angibt, vom Apostel Paulus verfasst worden zu sein. Andere Beispiele sind der Brief des Jakobus, der Judasbrief u.a.

Pseudographie heißt jedoch nicht einfach boshafte Fälschung, um Leser zu täuschen. Man spricht daher bei der religiösen Pseudonymität mitunter von echter religiöser Pseudepigraphie, wenn deren Texte nicht mit einer Täuschungsabsicht entstanden sind. Der Verfasser glaubt, in einem inspirierten mythisch-religiösen Erleben die Worte des Geistes Gottes zu schreiben. Das Erlebnis der Inspiration ist ein legitimer Grund für die Herstellung von Fälschungen: der Schreiber erhält in einer Entrückung, Vision oder Audition einen besonderen Auftrag. Diese Vorstellung ist allerdings schwer mit der Verurteilung von Lüge und Identifikation von Gott mit Wahrheit in Harmonie zu bringen.

Allerdings können Lehren und Geschichten unabhängig von ihrer Historizität einen Wert haben. Beispiel hierfür sind die Gleichnisse und Erzählungen Jesu. So hat die Geschichte vom barmherzigen Samariter einen hohen Wert, auch wenn die Geschichte rein fiktiv also nicht tatsächlich passiert ist. In diesem Fall ist es auch keine Irreführung.

Genauso kann das Buch Mormon wertvoll sein, auch wenn es keinen historischen Nephi und Alma gegeben hat. Voraussetzung wäre jedoch, dass man aufhört, so zu tun, als seien die dort beschriebenen Geschichten tatsächlich geschehen und nicht erst im 19. Jahrhundert im Kopf von Joseph Smith (unter göttlicher Inspiration?) entstanden.

Wenn wir die Geschichten von der Ersten Vision, den Goldenen Platten, der Priestertumswiederherstellung, der Erscheinung Elijahs oder der Initiierung der Mehrehe oder der Tempelverordnungen im Lichte Joseph Smiths Hintergrund als Hellseher und Erweckungsprediger betrachten, kristallisiert sich ein Muster heraus: Joseph Smith hatte ein besonderes Talent bzw. Einbildungskraft, aus seiner Umgebung heraus vorhandene Inhalte als neue "Offenbarungen" zu verpacken bzw. diese so zu erleben. So konnte er ein Skelett beim Zions-Camp als Lamamiten Zelph identifizieren, ein Mäuerchen in Missouri als Opferaltar von Adam, aus der Mäßigungsbewegung das "Wort der Weisheit" machen oder aus dem Freimaurertum die Tempelzeremonien. Und beim Buch Abraham aus der Köstlichen Perle ja ähnlich. Teile des angeblich zugrunde liegenden Pergaments wurden wiedergefunden und von Ägyptologen untersucht. Ergebnis: Hat nichts mit Abraham zu tun und stammt auch nicht aus seiner Zeit. Zufällig hatte Joseph Smith kurz vorher Hebräischunterricht genommen. Und zufälligerweise lassen sich diverse Parallelen darauf zurückführen.

Letztlich erweisen sich Übersetzungsarbeiten Joseph Smiths, für die es nachprüfbare Belege gibt, als äußerst fraglich:
  • Buch Abraham (Teile der Papyrus-Rollen sind wieder aufgetaucht und wurden von Ägyptologen übersetzt; die Texte haben nichts mit dem Inhalt vom Buch Abraham zu tun und stammen auch nicht aus seiner Zeit; es gibt zwei Erklärungsversuche: (1) der übersetzte Teil befand sich nicht auf den wiedergefundenen Teilen oder (2) die Rollen dienten lediglich als Inspirationsquelle und das Buch Abraham wurde offenbart statt übersetzt; (1) macht keinen Sinn, da eines der Faksimiles wiedergefunden wurde und ebenso eine andere Bedeutung hat; (2) macht keinen Sinn, da wiederum die Faksimiles ja "übersetzt" wurden und Joseph im Manuskript die Bedeutung von einzelnen Hierogryphen beschrieben hat, also sich klar auf die Zeichen auf den Rollen bezogen hat)
  • Kinderhook Plates (obwohl um 1980 als Fälschungen bewiesen stammten sie laut Joseph Smith von einem Nachfahren des ägyptischen Pharaos aus dem Stamm Ham)
  • Anthon Manuskript
  • Joseph Smiths ägyptisches Alphabet
... und sein größtes Übersetzungswerk als höchstwahrscheinlich nicht altertümlich.

Bleibt nur die Frage, ob es reine Fantasie war oder göttlich inspirierte kreative Verarbeitung vorhandener Quellen und Ideen. Vieles spricht weniger für Inspiration als für Imagination mit Schriftstellen durchsetzt. Und ein wenig Schwindel war angesichts der nachträglich frisierten Geschichten wohl auch dabei.