Mehr Gutes als Schlechtes?

Angenommen es gäbe eine Schule in Ihrer Nachbarschaft, die in einem tollen Gebäude untergebracht ist mit hervorragender Einrichtung und Lehrmaterialien, einer ausgezeichneten Mensa, Aula und Sporteinrichtungen. Die Lehrer kümmern sich liebevoll und kompetent um jede Schülerin und jeden Schüler, sind engagiert und verstehen es, die Schüler für ihr jeweiliges Unterrichtsfach zu begeistern. Daneben unterstützt die Schule vielfältige soziale Projekte. Die Absolventen machen in der überwiegenden Mehrzahl tolle Karrieren und begleiten Top-Positionen in Wirtschaft und Politik. Kleiner Wermutstropfen: die Schule akzeptiert keine ausländischen Schüler, Schüler mit Migrationshintergrund, dunkler Hautfarbe oder muslimischen Glaubens. Würden Sie Ihre Kinder dorthin schicken, wo sie doch eine hervorragende schulische Ausbildung genießen würden? Würden Sie sich gar aktiv für eine Beendigung der Diskriminierung einsetzen?

Die Duldung einer solchen schulischen Institution ist kaum vorstellbar. Kaum einer, der die Diskriminierung ablehnt, könnte darüber hinwegsehen, weil sich doch die Schüler wohl fühlen und eine ansonsten hervorragende schulische Ausbildung genießen.

Sobald wir aber von der schulischen in die Sphäre des Glaubens und der Religion wechseln, ändert sich die Einstellung für Viele plötzlich. Für Kirchen ist es keineswegs tabu, rassistische Lehren zu verbreiten, gegen Homosexuelle zu hetzen, Indoktrination zu betreiben oder anti-wissenschaftliche Einstellungen zu propagieren. Würden in Schulen offensichtlich gefälschte und geschönte geschichtliche Hintergründe gelehrt werden, würde die Öffentlichkeit auf die Barrikaden gehen. Bis auf den Religionsunterricht natürlich: auch hier darf kirchliche Propaganda vielfach nahezu ungehindert erfolgen. Oder wird sichergestellt, dass Schüler beispielsweise über den aktuelle Stand der historischen und Textkritik der Bibel aufgeklärt werden. Selbstverständlich spricht nichts dagegen und vieles sogar dafür, dass Schüler über die Inhalte der Bibel aufgeklärt werden.

Problematischer hingegen ist, dass unter dem Deckmantel der Religion Irrsinn verbreitet werden darf, wie die Ablehnung der Evolutionslehre oder dass die Vorfahren der lateinamerikanischen Ureinwohner ihre dunklere Hautfarbe einem göttlichen Fluch verdanken. Wenn es um den Glauben geht, darf widerspruchslos von Adam und Eva, Noah, Abraham, Mose, König David & Co. als historische Persönlichkeiten gesprochen werden, die es wirklich gab statt sie wie Siegfried als Sagenfigur zu behandeln.

Und würde man Kindern homosexueller Paare den Schulabschluss verweigern, wäre das zurecht ein Skandal. Die kirchliche Taufe darf man ihnen aber wie bei den Mormonen verweigern. Einerseits ist Religionsfreiheit und hohes Gut. Dies darf aber nicht als Rechtfertigung für Diskriminierung missbraucht werden. Das abzuwägen ist nicht immer ganz einfach, so wie ja auch Neonazis und Rechtsextreme gerne auf ihr Recht der freien Meinungsäußerung verweisen. Naturgemäß tut sich der Staat und die Presse hier schwer. Davon ungeachtet ist es die Aufgabe jedes Kirchenmitglieds, sich klar gegen Diskriminierung, Geschichtsfälschung, Indoktrination und Wissenschaftsfeindlichkeit zu auszusprechen.

Es ist nicht akzeptabel, wenn die sozialen und emotionalen Vorteile einer Religion in Anspruch genommen und gefeiert werden, während fundamentales Unrecht im Namen dieser Religion ausgeübt wird. Es mag noch so vielen Menschen Trost und Mut spenden, Sinn und Gemeinschaft stiften usw. Intoleranz und das Verursachen von Leid darf nicht toleriert und angesichts des Guten, das gleichzeitig bewirkt wird, beiseite geschoben werden. Die persönliche Befriedigung spiritueller Bedürfnisse darf nicht blind machen gegenüber möglichem Unrecht.