Lieber Vater
im Himmel,
vermutlich
überrascht es dich, mal wieder von mir zu hören – andererseits wiederum nicht,
denn du weißt ja schon alles vorher. Trotzdem wollte ich mich mal wieder
melden, um dir einen gut gemeinten Ratschlag zu geben – von Sohn zu Vater
gewissermaßen. Also, die Menschheit könnte wirklich mal wieder ein wenig mehr
Unterstützung von deinem Erstgeborenen gebrauchen. Beispielsweise in Form von
neuer Heiliger Schrift. Ich weiß, dass dein Sohn damit in der Vergangenheit
eher sparsam umgegangen ist und die letzte offenbarte Heilige Schrift auch
nicht so der Hit war. Vermutlich ist es Jesus jetzt peinlich und er schämt sich
für das letzte Werk - das Buch Abraham. Na gut, er hätte schon wirklich ein bisschen besser
vorher recherchieren und die Konsequenzen hinterfragen können, aber letztlich
war er halt vor zweitausend Jahren in einer zurückgebliebenen Provinz des
römischen Reichs ohne vernünftige Bildung und umgeben von Mythen und Legenden
aufgewachsen.
Bei allem Verständnis, aber Abraham 1:23-27 ist schon echt übel:
„Das Land Ägypten wurde erstmals von einer
Frau entdeckt; sie war die Tochter Hams und die Tochter der Ägyptus, was auf
chaldäisch Ägypten bedeutet, was bedeutet: das, was verboten ist;
als
diese Frau das Land entdeckte, war es unter Wasser; und nachher siedelte sie
ihre Söhne darin an; und so stammt die Rasse, die den Fluch in dem Land
bewahrte, von Ham.
Nun wurde die erste Regierung in Ägypten von
Pharao, dem ältesten Sohn der Ägyptus, der Tochter Hams, gebildet, und zwar
nach der Art der Regierung Hams, die patriarchalisch war.
Pharao,
der ein rechtschaffener Mann war, begründete sein Königreich und richtete sein
Volk weise und gerecht alle seine Tage und trachtete ernsthaft danach, jene
Ordnung nachzuahmen, die von den Vätern in den ersten Generationen aufgestellt
worden war, in den Tagen der ersten patriarchalischen Regierung, ja, in der
Regierung Adams und auch Noachs, seines Vaters, der ihn mit den Segnungen der
Erde gesegnet hatte und mit den Segnungen der Weisheit, ihn aber, was das Priestertum
betrifft, verflucht hatte.
Nun war Pharao von jener Abstammung, durch
die er das Recht des Priestertums nicht haben konnte, obwohl die Pharaonen von
Noach her, durch Ham, gern darauf Anspruch erhoben, darum wurde mein Vater durch
ihren Götzendienst verleitet;“
Historisch
gesehen ist das natürlich alles kompletter Unsinn: vom
Namen Ägyptus über die Geschichte der Besiedlung Ägyptens bis hin zum Pharaonentum. So kommt
der Name „Ägypten“ aus dem Griechischen Aigyptos. Und zwar erst tausend Jahre
nach der Zeit, in der die Abraham-Erzählungen stattfinden. Das Wort stammt übrigens vom babylonischen Ausdruck Hikuptah,
der wiederum abgeleitet ist von der altägyptischen Bezeichnung: hut-ka-ptah = „das Schloss des Ka des
Ptah“.
Die historischen Widersprüche mal beiseite: Besonders tragisch hat
sich bekanntlich der Hinweis auf die Restriktion des Priestertums für die
verfluchte „Rasse“ Hams ausgewirkt. Rassismus plus geschichtliche Anachronismen sind schon schwer mit göttlicher Vollkommenheit vereinbar. Dumm nur, dass der Brigham das wörtlich genommen hat und es erst hundert Jahre später unter massivem öffentlichen Druck korrigiert wurde.
Auch die
angebliche Aufforderung zur Lüge in Abraham 2:22-25 hat sich für die Mormonen
nicht gerade positiv ausgewirkt, hat die Passage doch zur Rechtfertigung der
Verheimlichung der Vielehe und Schönfärberei der Kirchengeschichte gedient:
„Und es begab sich: Als ich nahe daran war,
Ägypten zu betreten, sprach der Herr zu mir: Siehe, Sarai, deine Frau, ist als
Frau sehr schön anzusehen; darum wird es
sich begeben: Wenn die Ägypter sie sehen, werden sie sagen—sie ist seine Frau;
und sie werden dich töten, sie aber werden sie leben lassen; darum sieh zu, daß
ihr es auf diese Weise macht: Laß sie zu den Ägyptern sagen, sie sei deine
Schwester; dann wird deine Seele leben. Und es begab sich: Ich, Abraham,
erzählte Sarai, meiner Frau, alles, was der Herr zu mir gesprochen hatte: Darum
bitte ich dich, sage zu ihnen, du seist meine Schwester, auf daß es mir um
deinetwillen wohl ergehe und meine Seele deinetwegen lebe.“
Andererseits sind Notlügen zur Lebensrettung sicher gerechtfertigt. Irgendwie ist es ja auch gut, dass nicht alles nur schwarz-weiß gesehen werden soll.
Das mit dem
vorirdischen Dasein und den Intelligenzen ist auf den ersten
Blick wirklich clever, scheint es doch zu erklären, warum du nicht schuld bist an all
dem durch Menschen verursachten Leid und Übel. Warum so viele Intelligenzen
allerdings partout nicht lernfähig sein sollen und warum es gerecht sein soll,
dass einfach der eine Geist intelligenter ist als der andere und folglich Pech
hat, also eigentlich ja nichts dafür kann, bleibt unbeantwortet. Und musste
dein Sohn wirklich noch mal unterstreichen, dass er der Intelligenteste von
allen ist?
„Und der Herr sprach zu mir: Diese zwei
Tatsachen bestehen, daß es zwei Geister gibt, und der eine ist intelligenter
als der andere; es gibt noch einen weiteren, der intelligenter ist als sie; ich
bin der Herr, dein Gott, ich bin intelligenter als sie alle.“ (Abraham
4:19)
Während das mit den Intelligenzen echt mal was Neues war, musste dann
noch einmal der alttestamentliche Schöpfungsmythos fast 1 zu 1 wiedergekaut werden? War das
wirklich notwendig? Kann dein Sohn nicht einfach mal zugeben, dass er nicht
alles manuell aus Ton geformt, sondern einfach den evolutionären Prozess von
Mutation und Selektion genutzt hat?
„ Und aus dem Erdboden gestalteten die
Götter jedes Tier des Feldes und jeden Vogel der Luft und brachten sie zu Adam,
um zu sehen, wie er sie benennen würde; und wie auch immer Adam jedes lebendige
Geschöpf benannte, so solle dessen Name sein.“ (Abraham 5:20)
Irgendwie
ist die Idee ja putzig, dass Jesus mit seinem Team die rund 1,4 Millionen Arten
gestaltet und Adam dann benannt hat. Wobei, wenn die Insekten nicht zu den
Tieren des Feldes zählen, schon mal eine Million Arten entfallen. Wie dem auch
sei, mit dem Mythos macht dein Sohn es vielen Mitgliedern unnötig schwer, die
Erkenntnisse der Naturwissenschaften ernst zu nehmen. Klar muss man erst einmal
damit klar kommen, dass die Schöpfung eher mit Zufall als mit Planung und
Design zu tun hat und der Mensch mit dem Tierreich eng verwandt ist. Eigentlich ist es dennoch völlig überflüssig, dass Mitglieder denken, sie müssten sich zwischen
Biologie und ihrem Glauben entscheiden.
Außerdem
wäre es auch nicht schlimm, zuzugeben, dass du eben nicht allmächtig bist.
Deswegen würden die Menschen doch nicht aufhören zu glauben und dich zu
verehren. Wie der gute Jim Holt, Autor von ‘Gibt es alles oder nichts’, so
treffend zum Zustand des Universums formuliert hat:
„Sie sind eine Mischung aus Chaos und Ordnung, von mathematischer Eleganz und Hässlichkeit. Also ich würde diese Realitäten als ein unendliches, mittelmäßiges, unvollständiges Chaos, eine
gewachsene Wirklichkeit, eine Art
kosmischer Tritt in die Weichteile
beschreiben. Und gibt es eine Gottheit in einer dieser Realitäten? Vielleicht, aber die Gottheit ist nicht perfekt wie es die jüdisch-christliche
Gottheit ist. Die Gottheit ist nicht vollkommen gut
und allmächtig. Sie könnte
stattdessen 100 Prozent
böswillig, aber nur 80 Prozent effektiv sein, was so ziemlich die Welt beschreibt, die wir um uns herum sehen, denke ich.
Also ich denke, in einer Wirklichkeit zu leben, die mittelmäßig ist, in der es böse und
schöne Teile gibt, gibt uns eine Art von Sinn im Leben, die schönen Teile größer und die
bösen Teile kleiner zu machen.
Das Universum ist absurd, aber wir können immer noch einen Zweck schaffen, und das ist ein ziemlich guter.
Und die gesamte Mittelmäßigkeit der
Realität findet einen schönen Widerhall
in der Mittelmäßigkeit, die wir
alle im Kern unseres Seins fühlen.
Und ich weiß, dass ihr sie fühlt. Ich weiß, ihr seid alle etwas
Besonders. Aber ihr seid immer noch irgendwie heimlich mittelmäßig, meint
ihr nicht?“
Naja, das
den Menschen einzugestehen, ist wahrscheinlich doch zu viel verlangt. Apropos
zu viel verlangen: Wenn du deinen Erstgeborenen nicht dazu bewegen kannst, uns
eine neue, hilfreichere Heilige Schrift zu geben, könntest du ihn bitte
wenigstens dazu bringen, bei der anstehenden Generalkonferenz ein wenig
einzugreifen. Da hätte ich nämlich auch ein paar Wünsche, auch wenn ich mir die
Veranstaltung wohl nicht antun kann. Aber im Interesse aller anderen:
- Bitte nichts Aufpeitschendes oder Karikaturen von Liberalen, Feministen, Homosexuellen oder in anderer Weise fortschrittlich Denkenden.
- Bitte nicht wieder Mutterschaft mit Priestertum gleichstellen. Keine stereotypischen Geschichten über die Rolle von Frauen.
- Bitte kein plumpes Schwarz-Weiß-Getue.
- Bitte keine Anti-Wissenschafts-Argumente oder naturwissenschaftlichen Unsinn.
- Bitte Aufhören mit dem buchstäblichen Verständnis von biblischen Geschichten. Also so zu tun, als ob das alles wirklich so passiert ist.
- Bitte keine Warnung vor Satan. Die Menschen sind selbst dafür verantwortlich, was sie tun.
- Bitte nicht immer Moral mit nackten Schultern oder Knien verwechseln. Es gibt wirklich wichtigere Themen als die Kleidung der Jugendlichen oder auf jeden Fall der Kinder.
- Bitte keine Aussagen, dass das Übel in der Welt zunehmen würde, wenn der Zustand der Welt trotz all der Konflikte und Herausforderungen besser denn je ist.
- Bitte keine Aufrufe zu mehr Gehorsam gegenüber Kirchenführern oder Gebet und Schriftstudium als Allheilmittel.
Das wär´s dann erst einmal.
Amen.