Lehren aus dem Film 'A Beautiful Mind'



Nachdem ich endlich in Folge jahrelangen intensiven Studiums das Buch Mormon und Buch Abraham als unhistorische Produkte und Joseph Smith als charismatischen Kultgründer akzeptiert habe, sich auch die Bibel und das Christentum als bloße Mythen entpuppten und schließlich der Glaube an Gott zusammengebrochen ist, habe ich folgende teilweise überraschende zwei Erkenntnisse gewonnen:

Erstens: Gott lebte allein in meinem Kopf. Er war für mich lange Zeit sehr real. Die ganze Welt habe ich im Lichte seiner Existenz erlebt. Von klein auf war ich darauf bedacht, in mich zu horchen, um Botschaften und Leitung dieses Wesens aus dem Wirrwarr an Gedanken und Gefühlen zu identifizieren. Mit Gott durch Gedanken zu kommunizieren, kam mir vollkommen natürlich vor. Daher habe ich die göttliche Gegenwart tatsächlich erlebt. Eingebungen waren für mich eine Wirklichkeit. Aber waren sie wirklich real, nur weil sie mir so unzweifelhaft real erschienen? Mittlerweile ist Gott daraus fast vollständig verschwunden. Und das ziemlich plötzlich. Fast von einem Tag auf den anderen. Nur in besonders stressigen Situation überfällt mich manchmal noch der Drang, ein Stoßgebet abzusenden. Allerdings kann ich das gut über meinen präfrontalen Kortex unterdrücken.
Eine wunderbare Illustration, wie das abläuft, bietet der Film ‚A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn‘ aus dem Jahr 2001, der auf der Biographie des an Schizophrenie leidenden Nobelpreis-Gewinners John Nash beruht und mehrere Oscars und Golden Globes abgeräumt hat.
Der Film zeigt, wie Nash Jahrzehnte mit drei Personen interagiert, die, wie er später entdeckt, Ausgeburten seiner Phantasie sind. Aber er erlebt sie als wären sie real. Kein vernünftiges Argument konnte ihn überzeugen und ihm helfen, zu sehen, dass diese drei Personen nur in seiner Phantasie existierten. Und warum halfen Argumente nicht? Weil, wenn man selbst diese Personen in seinem eigenen Kopf erschafft, niemand anders den eigenen Kopf ändern kann. Niemand. Und es hilft überhaupt nichts, zu argumentieren, dass die Person, die man selber erlebt, nicht existiert, denn für einen selber existiert sie. Die Person existiert, weil man sie in seinem Kopf erschafft. Der Film zeigt wunderbar, wie real sie für Nash waren, wie schwer es ist, überhaupt die Möglichkeit zuzulassen, dass sie nicht real sein könnten.
Am Ende gelangt Nash endlich selbst zu der Erkenntnis, dass die drei Menschen, mit denen er aufgewachsen war, die er lieben und zu brauchen gelernt hatte, nur in seiner Einbildung existierten. Eines Tages merkte er, dass etwas nicht stimmte, etwas nicht passte. Reale Menschen altern. Diese Menschen aber nicht. Und damit war der Bann gebrochen. Niemand außer er selber konnte ihn zu dieser Erkenntnis bringen.
Deshalb kann man Gläubige nicht von der Nicht-Existenz ihres Gottes und des Irrsinns ihrer Glaubensvorstellungen überzeugen. Denn für sie existiert Gott. Für sie ist er real. Sie spüren und erleben ihn. Sie haben Gefühle für ihn, sie oder es. Es ist vergebene Liebesmühe auf empirische Belege zu verweisen, empirische Belege dafür, dass die Welt mehr als sechstausend Jahre alt ist, es keine globale Flut gegeben haben kann, die Vielfalt der Sprachen nicht von einem fehlgeschlagenen Turmbauprojekt im Nahen Osten herstammt und so weiter.
Denn unser Be- und Unterbewusstsein sind sehr mächtig. Besonders in Kombination mit tiefen Emotionen. Solange wir emotional an etwas hängen, solange wir an etwas glauben wollen, ist es für uns da. Unsere Intuition eliminiert alle Fakten, die nicht zu unserer Gefühlslage passen. Oder konntest Du schon einmal Menschen positive Dinge abgewinnen, während du auf sie wütend warst?
Das heißt nicht, dass logische Argumente komplett fruchtlos sind. Wie Dr. Rosen im Film sagt: „ Die einzige Art, wie ich ihm helfen kann, besteht darin, ihm den Unterschied zwischen dem, was real und was in seinem Kopf ist, zu zeigen.“ Und es heißt nicht, dass alle Gläubigen unter einer schizophrenen Psychose leiden, auch wenn man schon von einfachen Wahnvorstellungen und Halluzinationen sprechen kann – so hart sich das anhören mag. Der Begriff „Schizophrenie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Spaltung der Seele“.
Gemeint ist das Vorhandensein zweier nebeneinanderstehender Wahrnehmungswelten, d. h. der
Betroffene lebt in zwei „Wirklichkeiten“. Gläubige leben ja auch in der „realen Wirklichkeit“ und einer „Parallelwelt“, die sich in vielen Belangen widersprechen. Aber es
gilt: Schizophrenie ist nicht heilbar, Religiosität sehr wohl schon. Ein Trost sollte auch sein, dass Niemandem so richtig alle unbewussten Vorgänge im Kopf und damit einhergehenden Täuschungen oder verzerrten Wahrnehmungen bewusst sind.
In gewisser Weise kann man von einem dreieinigen menschlichen Geist bzw. Gehirn sprechen: an unterster Ebene das Reptilien-Gehirn, das die einfachen Funktionen wie Atmung, Hunger und Herzschlag steuert, dann das Säugetier-Gehirn, welches Emotionen wie Mitgefühl oder auch Scham beisteuert, sowie das präfrontale menschliche Gehirn. Wir wechseln ständig unbewusst zwischen diesen Ebenen hin und her, sind aber eben auch in der Lage, uns intuitiver Prozesse bewusst zu machen und bewusst irrationalen Reaktionen ausgelöst durch Wut oder Angst entgegen zu treten.
Der Film zeigt aber auch sehr schön, dass die Realisierung des Irrtums durch eine traumatische Situation ausgelöst wurde. Nashs Frau war drauf und dran, ihn in eine Anstalt einweisen zu lassen, als es ihn wie ein Blitzschlag traf.
Die Kirchenführer wollen das natürlich verhindern und empfehlen daher alle möglichen Arten der Selbst-Manipulation, um die Illusion aufrecht zu erhalten. So etwa folgende Aufforderung bei der Oktober-Generalkonferenz vor wenigen Tagen, die mehr mit Gehirnwäsche als Geistigkeit gemein hat und schon überhaupt nichts mit kritischer Auseinandersetzung mit der Realität und Suche nach Wahrheit:
"Lest als Nächstes das Zeugnis des Propheten Joseph Smith in der Köstlichen Perle oder in dieser Broschüre, die in nunmehr 158 Sprachen erhältlich ist. Ihr könnt sie online unter LDS.org finden oder die Missionare um ein Exemplar bitten. Es handelt sich um Joseph Smiths Zeugnis dessen, was sich tatsächlich abgespielt hat. Lest es immer wieder. Überlegt euch, ob ihr das Zeugnis Joseph Smiths nicht mit eigener Stimme aufnehmen wollt. Hört es euch regelmäßig an und spielt es Freunden vor. Euch das Zeugnis des Propheten mit eigener Stimme anzuhören erleichtert es euch, das Zeugnis zu erlangen, nach dem ihr sucht."



Erkenntnis Nummer zwei: Es gibt Spiritualität ohne Gott. Auch als Atheist spüre ich vielfach Ehrfurcht. Beispielsweise in der Natur. Ich verspüre ebenfalls ein Kribbeln auf der ganzen Haut bei bestimmten Anlässen oder bin zu Tränen gerührt von Geschichten wie der, als Adrianne Haslet-Davis zum ersten Mal seit ihrer Beinamputation nach dem Bombenanschlag beim Boston Marathon wieder tanzt: https://www.ted.com/talks/hugh_herr_the_new_bionics_that_let_us_run_climb_and_dance
Liebe und Familie hat nach wie vor einen Wert – vielleicht sogar noch einen größeren angesichts der Endlichkeit. All das hat nichts mit etwas Übernatürlichem zu tun. Auch ist es kein Widerspruch, kein Gegenpol zu wissenschaftlicher Erkenntnis. Egal, wie viel ich über die physikalischen Phänomene, die zur Erscheinung von Regenbögen oder den Verfärbungen am Firmament bei Sonnenuntergängen führen, weiß. All das hält mich nicht davon ab, jedes Mal beeindruckt und gerührt zu sein, wenn ich Derartiges eindrucksvoll erleben darf.
Auch unabhängig von der verlorenen Illusion einer grandiosen Belohnung beziehungsweise schrecklichen Bestrafung in einem Leben nach dem Tod verspüre ich kein Bedürfnis, meine Moral und Ethik über Bord zu werfen. Genau wie vorher erlebe ich Mitgefühl und damit das Bedürfnis zu helfen, ganz gleich, ob mir das Bonuspunkte beim Letzten Gericht einbringt. Auch Atheisten dürfen sich als Teil etwas Größerem sehen und uns dem Mysterium der menschlichen Existenz hingeben, Sinn und Erfüllung in allen möglichen Dingen erfahren. Uns können Dinge nach wie vor "heilig" sein. All das ohne einen Gott. Von diesem Mythos, Atheisten könnten keine Spiritualität und Transzendenz erfahren, dürfen wir uns auch bitte schön verabschieden.Noch ein Mythos weniger. 
Und die Erfahrung der Liebe spielt am Ende des Films auch für den Wissenschaftler Nash - wie es sich für einen Hollywood-Film gehört - die entscheidende Rolle: