Was hat
Religion und Glaube mit Gerüchen zu tun? Auf den ersten Blick – nein, das erste
Riechen – nicht viel, oder doch? Ein
gemeinsames Phänomen ist das der ‚Gewöhnung‘. Wir sind prinzipiell in der Lage,
ungefähr 10.000 Gerüche voneinander zu unterscheiden, nehmen allerdings beim Riechen hauptsächlich
Veränderungen wahr oder wenn wir uns stark darauf konzentrieren. Man kann das
gut an sich selbst beobachten: Ein neues Parfüm nimmt man sehr intensiv wahr,
doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran, bis man es überhaupt nicht mehr oder
kaum noch registriert. Das gilt auch für unangenehme Gerüche: anfangs riecht es
unerträglich, später hat sich die Nase an den Geruch gewöhnt. Der Gestank „verblasst“
sozusagen, erlischt aber zumeist nicht ganz. Auch die eigenen Gerüche können wir deutlich besser ertragen,
selbst wenn wir uns mal nicht gewaschen haben. Verantwortlich hierfür
sind die Riechzellen. Sie werden gehemmt und feuern keine Impulse mehr ans Gehirn, wenn sich der Geruch nicht verändert. Oder der Geruch wird im
Gehirn ausgeblendet, wenn wir uns an ihn gewöhnt haben und somit keine neuen Informationen liefert.
Das Riechen ist
dabei ein hochkomplexer Vorgang und stark mit Gefühlen und Erinnerungen verbunden.
Gerüche wirken direkt auf das limbische System, während visuelle,
akustische oder haptische Signale erst in der Großhirnrinde des Gehirns
verarbeitet werden müssen. In der Regel ist es also der Geruchssinn, der einem
den ersten Eindruck verschafft. Dabei findet das „sich riechen können“ oder
auch nicht weitgehend unbewusst statt. Die menschlichen Duftmoleküle enthalten nämlich
Informationen über die Beschaffenheit des Erbgutes.
Soweit also
zum Geruch. Was hat das nun mit dem Glauben zu tun? Nun, auch hier spielt die
Gewohnheit eine wesentliche Rolle. Uns nicht gewohnte Vorstellungen nehmen wir
als befremdlich wahr, hingegen können wir uns an wildeste und verquere Gedanken
gewöhnen, so dass wir sie nicht mehr als störend empfinden. Außerdem besitzen
wir die Gabe, verstörende Tatsachen ebenso wie unliebsame Gerüche einfach
auszublenden.
Zwei
Beispiele zur Illustration:
Dank der
Gewöhnung an die Weihnachtsgeschichte stört sich kaum ein Christ an dem
eigentlich mythischen, primitiven Hintergrund. Was hat eigentlich die
Vorstellung von Halbgöttern im 21. Jahrhundert zu suchen? Die Idee findet sich
in der ältesten Erzählung der Menschheit, dem Mythos von Gilgamesch, wieder.
Vor gut 4500 Jahren wurde damit vermutlich der Regent der mesopotamischen Stadt
Uruk als Kind der Göttin Ninsun und des Unterwelt-Halbgotts Lugalbanda ins
Göttliche erhoben. Ebenso der Gedanke, mit dem rituellen Opfern von Blut oder
Leben – menschlich oder tierisch – sich göttliches Wohlwollen beziehungsweise
Versöhnung erkaufen zu können. Wer würde die Sagen und Legenden um Herkules ernstnehmen,
ein Held und Halbgott, der sich lebendig verbrennen ließ und zur Gottheit
aufstieg? Sind die Legenden um Jesus so viel anders? Was macht sie
glaubwürdiger als nur die schiere Gewöhnung? Doch nur deshalb empfinden wir sie
nicht als ähnlich abstrus und unzeitgemäß.
Zweites
Beispiel: In einer leicht veränderten Freimaurer-Zeremonie werden merkwürdige
Kostümierungen vorgenommen, ein Filmchen mit Adam und Eva angeschaut und zur
Erinnerung speziell bestickte Unterwäsche angezogen. Empfindet man dies als
Mormone im Tempel anfangs noch als bizarr, so gewöhnt man sich doch mit der
Zeit an diesen Ritus bis er nahezu „normal“ erscheint. Vergleichbar also mit
dem Duft, der langsam in der Wahrnehmung nachlässt. Aber sowohl Tempel als auch
Weihnachten haben noch etwas anderes mit dem Duft gemein. Und das ist die
Verknüpfung mit Emotionen und Erinnerungen. Genauso wie ein Duft Gefühle und
Erinnerungen wachrufen kann, die man mit ihnen vor langer Zeit verknüpft hat, so kann dies dank der
Konditionierung auch mit dem Tempel und Weihnachten geschehen. Die Spannung,
Neugier, Aufregung, ebenso wie das Feierliche, Erhabene, Besinnliche wird im
Unterbewusstsein mit dem jeweiligen Auslöser verknüpft. So wird aus etwas
Banalem wie in der Wohnung aufgestellte, geschmückte Tannenbäume etwas
Besonderes. Das
Groteske, Irrsinnige, Veraltete, Unzeitgemäße, Abwegige, Lächerliche verblasst
durch Gewöhnung, hingegen bleibt die Emotionalität durch die Konditionierung.
Die verknüpften Reize sind gelernt. So wie der Geruch von frisch gebackenen Plätzchen
die Speichelproduktion in Gang setzt, so empfinden wir Ehrfurcht beim Anblick
des Tempels, wenn wir dies gelernt haben. Nichts Übernatürliches, sondern "einfache" Psychologie.