„Vielleicht aber sollte man einfach mal wieder mit den Mitteln des
Verstandes an die Dinge herangehen und sich ernsthaft fragen, welcher Beweiswert
Berichten über Hölle, Auferstehung und Himmelfahrt zukommt, die aus einer Zeit
stammen, in der zahllose Wanderprediger, Weisheitslehrer, Wunderheiler und
Wahrsager durch die Lande zogen und offenbar stets ein geneigtes und gläubiges Publikum
fanden. Es sind verschiedensprachige Berichte über noch nie Gesehenes und noch
nie Gehörtes, mehrere Jahrzehnte nach dem
Tod von Jesus niedergeschrieben aufgrund von überlieferten Erzählungen bei Textabfassung
ebenfalls schon Verstorbener, die ihrerseits Vieles nur vom Hörensagen kannten und
wohl in den seltensten Fällen, wenn überhaupt,
Augenzeugen gewesen sein dürften. Die Texte des schließlich in griechischer Sprache
geschriebenen Neuen Testaments sprechen davon, dass für Jesus die Hölle ein
selbstverständlicher Teil seiner gedachten göttlichen Ordnung war und dass er
sie in beredten Worten als ein furchtbares, feuriges Strafgericht ausgemalt habe.
Ist es so abwegig zu vermuten, dass die
Jahrzehnte später verfassten Berichte über die damaligen Geschehnisse im Interesse
der Verkündigung ausgestaltet wurden, in der Überzeugung wiedergegeben, dass
sie eine bedeutende Botschaft enthielten und deshalb – wie es damals weitverbreitet
und üblich war! – zur Bekräftigung durch
außergewöhnliche, aber erfundene Ereignisse, wie seine Auferstehung, seine Himmelfahrt oder seine Wundertaten, ergänzt
wurden?
Noch naheliegender erscheint es mir, davon auszugehen, dass Jesus
einer der damals üblichen altertümlichen, aber für uns heute indiskutablen
Vorstellungen über Himmel, Hölle und einer alles regierenden Gottheit anhing, weil er es in seiner Zeitgebundenheit einfach
auch nicht besser wissen konnte. So wie er sich ja auch eindeutig irrte, als er
seine Überzeugung äußerte, dass das
Weltenende unmittelbar bevorstehe (siehe z.
B. Markus 9, Vers 1!). Dieses Nichteintreffen
seiner Prophezeiung hat bekanntlich die frühe Christenheit in ärgste
Verlegenheit gebracht. Aber – so wird mir an dieser Stelle unverzüglich und unbeirrt entgegengehalten –
wer an die Botschaft glauben wolle, den
vermag der zweifelnde Verstand nicht zu irritieren, der Zweifel wird vielmehr als Versuchung des Teufels gedeutet,
der es tapfer und glaubensstark zu widerstehen gelte. Dass man dabei einem einfältigen
Zirkelschluss erliegt, verdrängt man in diesem Fall gern. Nochmals sei es deshalb gesagt: Wieso soll
ich einem Menschen glauben, der zwar von sich sagt: »Ich bin das Licht«, »Ich
bin die Wahrheit«, »Niemand kommt zum Vater
denn durch mich«, den ich aber nur über höchst
fragwürdige Berichte kenne, über erzählte und wiedererzählte, unter nur bedingt
geklärten Umständen verfassten und später fehlerhaft abgeschriebenen Texte, von
denen man zudem durch Forschung sicher weiß, dass sie an vielen entscheidenden Stellen im Sinne der
Botschaft ge- und verfälscht wurden. Es sind Berichte über Geschehnisse, die
zweitausend Jahre zurück liegen und von einem Menschen künden, der Gottes Sohn
sein soll, über den aber so gut wie überhaupt keine nachprüfbaren
geschichtlichen Fakten vorliegen. Anspruch und Versprechen, Behauptungen und
Belege dieser Berichte stehen in einem so krassen Gegensatz zueinander, dass es
mir nur gelänge, ihnen Glauben zu schenken, wenn ich meinen Verstand
vollständig ausschalten würde.
Insofern besteht – für mich – ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen
diesem Glauben und dem einem denkenden Menschen gegebenen Verstand. Und nun kommt die eigentliche Pointe:
Von der Annahme dieser absolut unsicheren und in Teilen auch nachweisbar gefälschten
Berichte, gegen die sich mein nun mal nicht Ruhe gebender Verstand aufbäumt, soll
mein Seelenheil abhängen? Was für eine groteske Lehre! Kein Wunder, dass die Kirche
mit der Hölle drohen musste, um die ihnen ausgelieferten Untertanen zu Gläubigen
zu machen. Nun könnte ein Gläubiger mit
einem gewissen Recht argumentieren, dass er als aufgeklärter Mensch auf solche
Glaubenselemente wie Jungfrauengeburt, Hölle, Wiederauferstehung und
Himmelfahrt, da sie ihm nicht glaubensnotwendig erscheinen, durchaus verzichten
könnte, ohne den eigentlichen Kern der christlichen Botschaft in Frage zu
stellen. Dieser bestünde darin, anzuerkennen, dass Jesus Gottes Sohn ist und
durch seinen Tod stellvertretend die Sünden der Menschheit übernommen hat, um diese
mit Gott wieder zu versöhnen. Da er – so
dieser Gläubige – durch seine Taufe die Zugehörigkeit zur Kirche dokumentiere und
durch Teilnahme am Abendmahl dieses Bündnis immer wieder festige und ansonsten
ein christlichkirchlich orientiertes und bußfertiges Leben führe, erfülle er
alle wichtigen Bedingungen, die für
einen wahren Christen erforderlich seien.
Lassen wir es dahin gestellt sein, welche Glaubenselemente die Kirche als
unerlässlich für das Heil und die Erlösung ansieht. Was mich interessiert und
zeitlebens beschäftigt hat, ist die Frage, was dieser Opfertod eigentlich bedeutet
und was sich hinter der Zeremonie des Abendmahls verbirgt. Sind diese nun
wirklich zentralen Glaubensbestandteile in ihrer eigentlichen Bedeutung einem heutigen
Menschen noch vermittelbar? Worauf zieht sich ein »aufgeklärter« Christ
tatsächlich zurück, der – wie eben dargestellt – meint, seinen Glauben auf diese zentralen Aussagen reduzieren
zu können? Sind diese Kernaussagen wenigstens glaubhafter und vor allem eines aufgeklärten Menschen würdig? Ich meine, das Gegenteil ist
der Fall und die Vorstellungen, die hinter Opfertod und Abendmahl stehen, sind
– wie ich jetzt erläutern möchte – für mich geradezu abstoßend.
Der Tod von Jesus am Kreuz ist nach christlicher Auffassung als
Sühneopfer zu verstehen, um den durch die Sünden der Menschheit erzürnten Gott
zu versöhnen. Von Urzeiten her hatte solches Opfern die Funktion, mit der
Gottheit Kontakt aufzunehmen, um ihr Unterwerfung und Verehrung kund zu tun und
sie gnädig zu stimmen. Man gab ihr etwas sehr Wertvolles hin und erwartete
meist eine entsprechende Gegenleistung. Geopfert wurden zum Beispiel der
Erstgeborene, Jungfrauen, besonders schöne und wertvolle Tiere, kostbare
Speisen oder es erfolgte ein Verzicht auf eigene Lebensentfaltung. Dabei
stellte das Opfern des eigenen Sohnes ein ganz besonders großes und schweres Opfer dar. Der Opfernde erwartete
seinerseits eigenes Wohlergehen, Hilfe in Notfällen, Kindersegen, Kriegserfolg oder
zum Beispiel Versöhnung nach göttlicher Bestrafung wegen vorangegangenen
sündigen Verhaltens. Gewisse Opferriten dieser Art sind heute noch üblich zum
Beispiel bei afrikanischen oder ozeanischen Naturvölkern, deren Weltverständnis
etwa den Vorstellungen entspricht, die zu biblischen Zeiten das Denken der
Menschen beherrschten und – so muss man ergänzen – offenbar auch noch dem Weltbild eines überzeugten Christen
entspricht. Denn wenn man den Kreuzestod als Opfer versteht und so akzeptiert,
dann übernimmt man notwendigerweise auch das altesttamentarische archaisch-inhumane
Gottesbild und das damit zusammenhängende
Denken aus dieser biblischen Zeit! Opfer
dieser Art stellten Unterwerfungsgesten von Menschen dar, die sich dem Zorn Gottes in Form von Naturgewalten oder
Krankheiten schutzlos ausgeliefert sahen und in der Gottheit eine Macht anbeteten,
die dieses Ungemach von ihnen abwenden
konnte. Wo ist der prinzipielle Unterschied zu den von uns belächelten
Praktiken von Ureinwohnern in Afrika und Neuguinea oder gar jenen mit Abscheu betrachteten Opferriten
der Azteken, die meinten, mit lebenden Menschen als Opfergabe die Götter besänftigen
zu können?
Zwar ist davon auszugehen, dass Jesus vom Hohen Rat wegen
Gotteslästerung und von Pilatus aus Sicherheitsgründen verurteilt worden ist,
die Deutung von Jesus Tod als Opfer zur Versöhnung Gottes mit uns Menschen ist sicher
später erfunden worden. Außerdem kann ich über die geradezu krämerseelenhafte Verrechnung
von Sünde und Sühne nur den Kopf schütteln.
Fühlt sich Gott gar einem noch über ihm stehenden
Gesetz verpflichtet, das diesen Ausgleich fordert? Fällt einer allmächtigen,
allwissenden und uns so unendlich überlegen
scheinenden Gottheit nichts anderes ein als eine Hinrichtung grausamster
Art, um diesen angeblich notwendigen Ausgleich herbeizuführen? Wir sind
offenbar durch frühkindliche
Indoktrination – was man wohl noch deutlicher als geistige Vergewaltigung
bezeichnen sollte – und durch die sich ständig wiederholende Beschäftigung mit diesem
damaligen Geschehen blind und unempfänglich geworden für das, was sich da eigentlich
zugetragen hat (bzw. zugetragen haben soll!). Die Opferung des eigenen Lebens als
einzig mögliche Gegenleistung und der am
Kreuz hängende tote Jesus erscheinen uns so normal und selbstverständlich, dass
wir überhaupt nicht mehr auf den Gedanken
kommen, uns die Absurdität dieses Geschehens und die damit verbundene verstandesmäßige
Zumutung bewusst zu machen. […] Modern gesprochen könnte man sagen: Gott funktionalisiert
seinen Sohn. Er zeugt ihn, lässt ihn ein Paar Jahre seine Botschaft verkünden und der Versöhnung mit der Menschheit wegen
später foltern und »abschlachten«. Danach lässt Gott entgegen seiner
Liebeslehre mit viel Gewalt aber nur relativem
Erfolg unter Verwendung des Bildes des hingerichteten Sohnes die Botschaft von
seiner himmlischen Existenz in der Welt verbreiten. Grotesker geht es nach
meinem Empfinden nicht mehr.
Ich weiß, dass ich mit solchen Kommentierungen so manchen überzeugten
Christen vor den Kopf stoße, insofern bitte ich ehrlich um Nachsicht. Ich schreibe solche Worte aber nicht aus Lust an
der Provokation. Ich wäre einfach unehrlich, wenn ich an dieser Stelle nicht
sagen würde, was ich empfinde und wie man den Sachverhalt aus der Sicht eines
neutralen Beobachters darstellen könnte,
ich würde sagen: darstellen muss.
Die Theologin UTA RANKE-HEINEMANN (*1927) notiert fast zynisch: »Das
Christentum ist die Religion der Verherrlichung einer konkreten historischen Hinrichtung,
der Hinrichtung Jesu, denn die Kirche sieht in ihr eine Erlösung durch Blut.
Für die Christen ist damit die Todesstrafe die Voraussetzung ihrer Erlösung. Die
Todesstrafe ist sozusagen geheiligt als Mittel dieser Erlösung. Gott ist der
oberste Anwalt der Todesstrafe, da er seinen Sohn zum Tode verurteilte und die Kreuzigung
gewollt hat.«
Etwas weiter heißt es: »Der Mensch
stand immer, wenn es ihm diente, auf Tod und Blut. Immer hat er im Töten ein
Mittel gesehen, Übel zu beseitigen, durch Todesstrafe, Kriege und durch die
Vernichtung von Bösem. Blut hat für die Menschen eine erlösende Funktion.«
Dass es so ist, wie die letzten Sätze feststellen, ist nicht
verwunderlich: Der Gott der Bibel hat es uns vorgemacht und den Maßstab
gesetzt! Erlösung durch Vollzug der Todesstrafe an einem an sich Unschuldigen! […]
Zutreffender dürfte wohl die Erklärung sein, dass hier ein typisch
menschliches Verhalten, nämlich für das eigene Versagen einen »Sündenbock« zu benennen,
in ein religiöses Muster umgeformt wurde. Das »Lamm Gottes« (Johannes, Kap. 1, Vers 29), das für andere
büßt, ist der Sündenbock, der alle unsere
Schuld auf sich nehmen muss. Wie bequem und zugleich schäbig und daher zu Recht geächtet ist es, andere stellvertretend
für eigene Untaten büßen zu lassen. Durch religiöse Verklärung wird daraus ein
göttliches Geschenk, durch das in buchhalterischer Art und Weise Schuld und Sühne
angeblich verrechnet werden. Mit einem solchen Versprechen lassen sich
erfolgreich Seelen einfangen.
Sehr aufschlussreich
in diesem Zusammenhang ist auch hier wieder ein Blick in die
Religionsgeschichte. Kultische Mahlzeiten als Ausdruck der Gemeinschaft des Menschen
mit Gott und der Menschen untereinander gibt es in vielen Religionen. Sinn eines
solchen Mahles ist eine Opferung, die der
Verbindung zu Gott dient und dem ein Teil des Opfers übergeben wird. Andere
Mahlkulte gehen von der Vorstellung aus, dass die Opfernden sich göttliche Kraft
aneignen, wenn sie die Gottheit verspeisen. Solche Kultmahlzeiten waren in den
griechischen und hellenistischen Geheimkulten weit verbreitet. Der wesentlich ältere
iranisch-vorindische Mithraskult beispielsweise kannte nicht nur eine Taufe
sondern auch eine Art Abendmahl, das in Erinnerung an die letzte Mahlzeit des
Gottes Mithras, bevor er in den Himmel zurückkehrte, festlich begangen wurde.
(Der Mithraskult stellt somit ein höchst bemerkenswertes Vorbild dar!) Man darf
davon ausgehen, dass in ganz früher Zeit solche Kultmahle kannibalische Mahle
waren, bei denen Menschenopfer verspeist wurden. Kann man nach diesen Ausführungen über
Opfertod und Abendmahl noch der Auffassung sein, dass diese Kernelemente
christlichen Glaubens geringere Akzeptanzprobleme heraufbeschwören als die
Jungfrauengeburt, die Existenz der Hölle, die Wiederauferstehung Jesu und
dessen Himmelfahrt? Die schon mehrmals zitierte katholische Theologin U TA RANKE-HEINEMANN äußert in
bemerkenswerter Offenheit, was ich bisher allenfalls zu denken wagte. Sie
spricht in Bezug auf das Abendmahl vom »christlichen Kannibalismus des
Menschenblut-Trinkens«. Kann man seinen Abscheu vor einer seit Jahrhunderten mit größter
Selbstverständlichkeit und Überzeugung geübten kirchlichen Praxis noch drastischer
ausdrücken? In der Tat erinnern solche Riten an Praktiken, wie sie uns aus
steinzeitlichen Menschheitsperioden oder von primitiven Völkern berichtet
werden. Auch wenn manche Kirchen nur noch von einer symbolischen Anwesenheit
Jesu beim Abendmahl sprechen, so ändert das nichts an den schon höchst
fragwürdigen Worten Jesu zur Einsetzung dieses Ritus und an dem dahinter
stehenden, uralten Mythen entsprungenen und für mich einfach abwegigen Gedanken.
In einem Beitrag »Das unbekannte Christentum« zitiert der an der
Universität Frankfurt am Main lehrende Ethnologe KARL-HEINZ KOHL den Philosophen und Gelehrten
P ORPHYRIUS (233 bis ca. 304 n. Chr.) und verweist auf dessen vehement ablehnende Auffassung vom
christlichen Abendmahl: »Ist denn
dies nicht tierisch und widersinnig, ja vielmehr widersinniger als aller
Widersinn und tierischer als tierische Rohheit, dass ein Mensch Menschenfleisch
essen und seines Stammesgenossen und Verwandten Blut trinken und dafür das ewige
Leben bekommen soll? ... Welch ein Verbrechen werdet ihr [gemeint sind die Christen, U.L.] noch aufbringen, das fluchbeladener
wäre als diese ekelhafte Ruchlosigkeit?« Bemerkenswert an
diesen Äußerungen aus der Anfangszeit des Christentums erscheint mir, dass hier
offenbar ein unvoreingenommener Verstand spricht, dessen Blick noch nicht durch
frühkindliche religiöse Einübung und jahrhundertlange kulturelle Prägung verstellt
ist, der noch fähig ist, eine solche religiöse rituelle Handlung als das zu
erkennen, was sie ist: ein bizarrer kannibalischer Kult aus überkommener Zeit. Ich
frage mich, wie man einem Menschen des 21. Jahrhunderts eine solche, mich an
Voodoo-Kulte oder dergleichen gemahnende Magie als heilsbringende Handlung anbieten
kann.
Resümierend möchte ich feststellen, dass für mich der christliche
Glaube nichts anderes ist als eine –
zugegeben eindrucksvoll ausgefeilte – gedankliche Konstruktion, die sich aus
älteren religiösen Vorbildern und uralten Mythen im Laufe der Jahrhunderte
entwickelt hat, dabei zugleich immer auch
ein Instrument machtpolitischen Agierens war. Es handelt sich für mich um ein Gedankengebäude, das aus dem Bedürfnis nach
Überwindung von Not, Krankheit und Tod
als Wunschvorstellung entstand, dessen Bezugspunkt im Jenseits nur in den
Köpfen der Gläubigen existiert und dem im Diesseits jede glaubwürdige
Begründung fehlt. Dass dieser Glaube für unzählige Menschen dennoch von großer
Anziehungskraft ist, zumal ohnehin die allermeisten in diesen hinein geboren
wurden, erklärt sich aus Angst und Verzweiflung und der daraus entstandenen
Hoffnung auf Erlösung aus irdischem Leid, auf Wiedergeburt und ausgleichende
Gerechtigkeit dermaleinst im Jenseits.
Bedingt durch eine zweitausendjährige »Bauzeit« ist zweifellos ein
Gebäude von geradezu überwältigender Größe entstanden, sowohl in seiner äußeren
Erscheinung wie in seinen geistigen, sprich theologischen Dimensionen. Da
erscheint es ruchlos und vermessen und die eigene Größe maßlos überschätzend, sicherlich auch viele Gläubige
und ehrlich und uneigennützig engagierte
Priester, Pfarrer und Pfarrerinnen vor den Kopf stoßend, wenn man dieses Glaubensgebäude, das Trost und Hilfe
nicht nur verspricht, sondern in ungezählten Fällen auch spendete und spendet, als
bloße Projektion unserer sehnlichsten Wünsche bezeichnet, als ein Gebäude, das allenfalls
im Diesseits seinen Grund hat. […]
Auf jedem noch so verstiegenen oder einfachen, abartigen oder auch
vernünftigen Gedanken, wenn er denn nur ein irgendwie manipulierbares und ausbeutbares menschliches Bedürfnis
anspricht, lässt sich offenbar ein komplexes Glaubensgebäude errichten. Mit theologischer
Hilfe ist ein solches Gebäude nach einer gewissen Zeit fertig gestellt und
bietet einer verunsicherten Psyche eine willkommene
Gelegenheit, sich hinein zu flüchten. Die christliche Lehre ist für mich ein
Beispiel für eine solche gedankliche Konstruktion. Die ursprüngliche Idee, der
Traum von einem Weiterleben im Jenseits, ist in den Rang einer subjektiven
Wahrheit, einer nicht mehr in Frage gestellten Wirklichkeit gerückt. Wievielen Menschen
christlichen Glaubens ist eigentlich diese irrationale Wandlung von einem
bloßen Wunsch zu einer festen Überzeugung bewusst? Und wenn sie ihnen bewusst ist,
wollen sie sie wahrhaben? Dennoch ist nicht zu leugnen, dass der christliche Glaube
auch heute noch Abermillionen Menschen
Trost und Hilfe bedeutet. Aber ebenso wenig sind die intellektuellen Zumutungen und nicht wieder
gut zu machenden Verfehlungen und Untaten zu ignorieren, die aus dieser
Glaubensidee erwuchsen. Denn was für eine absurde Konstruktion! […] Es heißt, dass [der
Mensch] seiner Verderbtheit wegen der
Erlösung durch ein schaurig-blutiges Menschenopfer bedürfte. Nur der unbedingte Glaube an diese
Botschaft führt ins Paradies und zu ewigem Leben, andernfalls droht entsetzliche
Apokalypse und ewige Höllenpein. Zur frohen
Botschaft des Heilsversprechens gesellt sich als ständiger Begleiter die
unterschwellige Angst vor der Rache Gottes. Der Auftrag, die Nachricht von dem versprochenen
Heil in alle Welt zu tragen, wurde mit gnadenloser Unduldsamkeit ausgeführt und
verlangte der übrigen Menschheit millionenfach
Opfer ab. Man sehe es mir nach, wenn ich zu dieser obskuren Kopfgeburt ein entschiedenes
»Nein, danke!« sage. Welch ein Kontrast zwischen dieser Glaubensbeschreibung
und der fröhlichen Frömmigkeit eines überzeugten Kirchgängers oder dem hoffnungsgeladenen
Beten eines Wallfahrers. Was fehlt mir, dass ich mich einer solchen heilsgewissen Gläubigkeit verweigere? ….“ (aus Uwe Lehnert, Warum ich kein Christ sein will)