Im Judentum
hat es zunächst nur ein stilles Reich der Toten gegeben, das unterschiedslos
alle Toten für ewige Zeiten aufnahm. Es war die Scheol (griechisch: Hades), die
Unterwelt. Diese Unterwelt liegt nach dem Buch Hiob tiefer als das Meer (Hiob
26:5). Der Bereich der Toten ist „das Land des Vergessens“ (Psalm 88:13), die
Stätte völligen Dunkels, die keine Beziehung zur Oberwelt hat. Von hier gibt es
keine Rückkehr mehr zur Welt des Lichts: „Wer zu ihr geht, kehrt nie zurück,
findet nie wieder die Pfade des Lebens.“ (Sprüche 2:19). Die dort weilen, bleiben tot
und können nicht mehr den Ewigen preisen (Psalm 6:6). Oder wie es in Kohelet
9:10 heißt: „Alles, was deine Hand, solange du Kraft hast, zu tun vorfindet,
das tu! Denn es gibt weder Tun noch Rechnen noch Können noch Wissen in der
Unterwelt, zu der du unterwegs bist.“ Oder in Vers 5: „Und: Die Lebenden
erkennen, dass sie sterben werden; die Toten aber erkennen überhaupt nichts
mehr.“
Erst ca. 165
v. Chr., im Buch Daniel, ist der Auferstehungsglaube im Alten Testament
erstmalig bezeugt: „Und viele von denen, die schlafen im Erdenstaub, werden
erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zu Schmach, zu ewigem Abscheu.“
(Daniel 12:2). Es scheint noch nicht klar, ob alle auferstehen werden oder nur
viele. Die so genannte Jesaja-Apokalypse in Jesaja 24–27: „Deine Toten werden
leben, die Leichen stehen wieder auf;“ (Jesaja 26:19) stammt ebenfalls aus
dieser späten Zeit.
Dass im 2.
Jahrhundert v. Chr. Bewegung in die Scheol kommt, hängt vermutlich mit den
Makkabäerkriegen zusammen. Denn in Zeiten erhöhter militärischer Forderung nach
Sterbebereitschaft und Kampfmotivation auf Seiten der Krieger wird die Frage nach
himmlischem Trost und Belohnung für Märtyrer dringlich. So bekommt die Scheol
bekommt jetzt verschiedene Abteilungen: Für die Krieger und später die Gerechten
wird in ihr ein angenehmer Ort des Wartens auf die Auferstehung eingerichtet,
für die Nicht-Krieger und später Gottlosen eine Abteilung vorläufiger Strafe bis
zum Endgericht. Im jüdischen Schrifttum ab ca. 130 v. Chr. taucht plötzlich
neben der Scheol ein zweiter Ort auf: das Tal Gehinnom, ein Ort des Schreckens,
der nie, wie ursprünglich die Scheol, ein Ort für Gute war. Dieser Gehinnom wird
zum Ort ewiger Strafe nach dem Endgericht.
Eine
ähnliche religionsgeschichtliche Entwicklung hat sich nicht nur im Judentum vollzogen. Eine
negative Umwidmung von einem stillen Totenreich (Hels Reich) gab es auch bei
den Germanen als die gefallenen Helden vom Gott Odin ausgewählt und in das
Krieger- und Heldenparadies Walhalla versetzt wurden. (Walstatt = Schlachtfeld,
und Walhalla = Halle für die in der Schlacht gefallenen Krieger.) Ein
Garten des Paradieses wäre bei den
Germanen unangebracht gewesen, weil es dort im Winter zu kalt gewesen wäre,
darum die Festhalle Walhalla. In Hels Reich verblieben nur noch die Unheroischen,
die Nichtkrieger.
Auch in der
griechischen Welt war im 2. Jahrhundert v. Chr. der Glaube an ein Weiterleben
nach dem Tod längst in das allgemeine Bewusstsein eingedrungen. Aber wichtiger
noch als der Einfluss der Unsterblichkeits-Vorstellungen der Griechen scheint
für die Juden der Einfluss des persischen Auferstehungsglaubens gewesen zu sein.
Mit den Persern hatten die Juden in
engster Berührung gestanden, da sie sich von 539 bis 333 v. Chr. unter
persischer Oberhoheit befanden. Begründer der persischen Religion ist
Zarathustra (7./6. Jahrh. v. Chr.). Die Vorstellungen der persischen Religion
über das Schicksal des Menschen nach dem Tod werden um 6oo v. Chr. in den Gatha
beschrieben, heiligen Schriften, die auf Zarathustra zurückgehen: Drei Tage
bleibt die menschliche Seele bei ihrem toten Körper. In der Dämmerung des
vierten Tages nach dem Tod begibt sich die Seele zur Cinvat-Brücke, die sich
über dem Abgrund der Hölle spannt. Dort werden die guten und bösen Taten des
Menschen gewogen. Die Waagschale bestimmt das Urteil. Wenn die guten Taten
überwiegen, wird die Seele in das Paradies geführt. Die Bösen hingegen stürzen
von der Brücke in die Hölle, die unter der Brücke liegt. Dort werden sie bis
zur Auferstehung gepeinigt. Zum
Weltgericht erhalten alle Seelen ihre Leiber und werden endgültig gerichtet vom
weisen Schöpfer-Gott Ahuramazda (Ormuzd). Die Bösen kehren zurück in die Hölle,
aber nur für drei Tage. Dann werden alle, die Guten und die Bösen und die ganze
Erde, mit reinigendem Feuer übergossen, mit einer Flut aus geschmolzenem
Metall. Für die Guten ist das so wie ein Bad in warmer Milch, für die Bösen ist
es wie ein Höllenfeuer. Aber auch sie werden durch das Feuer gereinigt. Ja, die
ganze Erde wird durch das Feuer gereinigt und wird durch diese Reinigung zum
Paradies, in dem alle zusammen in vollkommenen Leibern wohnen werden.
Die
persischen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod wurden fast vollständig von den
jüdischen Pharisäern übernommen. Auch Jesus teilte diese pharisäische Auffassung.
In seinem Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 6) ist der Hades
durch einen „klaffenden Spalt“ in zwei Abteilungen aufgeteilt. In der einen
Abteilung leidet der reiche Mann „große Pein“ in einem Feuer, in der anderen
Abteilung sitzt der arme Lazarus in Abrahams Schoß; dort gibt es Wasser und
Annehmlichkeit. Die eigentliche Hölle und der endzeitliche Strafort der Bösen
ist der Gehinnom (griechisch: Gehenna). Der Gehinnom, die ewige Hölle des Neuen
Testaments, war ursprünglich ein verrufenes Schreckenstal südlich von
Jerusalem, auch „Feuertal“ genannt, verrufen wegen der Kinderopfer, die dort im
Feuer dargebracht worden sein sollen, z. B. von König Ahas (8. Jahrhundert v.
Chr.; 2. Könige 16:3) und von König Manasse (7. Jahrhundert v. Chr.; 2. Könige
21:6). So spricht Jesus vom Jüngsten Gericht, wo die Guten von den Bösen
geschieden, die Guten gerettet, die Bösen verdammt und ins Feuer geschickt
werden: „Dann wird er sich auch an die auf der linken Seite wenden und zu ihnen
sagen: Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und
seine Engel bestimmt ist!“ (Matth. 25:41)
Auch im Buch
Mormon findet sich nur diese Zweiteilung zwischen Himmel und Hölle, Ewigem
Leben und Verdammnis. Es gibt nichts dazwischen und keine Abstufung der
Errettung (siehe Alma 28:11-12; 1. Nephi 14:7, 10; Alma 5:39). Zusätzlich ist
die Strafe für die Schlechten endlos (siehe Mosia 3:25; Mosia 2:39; 3. Nephi
27:11, 17).
Die frühen
Offenbarungen Joseph Smiths bestätigten noch diese Zweiteilung (siehe LuB
29:26-29; 133:62-63, 73). Und dann kommt eine Offenbarung im kompletten
Widerspruch zur Lehre des Buch Mormons in LuB 19 (Vers 6, 11-12), wonach ewige
und endlose Strafe nicht zeitlich zu verstehen seien. Im Buch Mormon hingegen
gibt es ausdrücklich keine Änderung im Zustand (siehe Alma 34:33- 35; Alma
41:5-7; 3. Nephi 26:4-5). Möglicherweise wurde die veränderte Ansicht durch den
Prediger Hosea Ballou beeinflusst, der bereits 1805 erklärte: „Ich sage, das
Wort ewig findet keine Anwendung auf die Dauer des Glücklichseins, sondern auf
die Natur des Lebens, welches durch das Evangelium ans Licht gebracht wird.“ In
späteren Offenbarungen schließlich weicht Joseph Smith nicht nur die
Endlosigkeit des Zustands auf, sondern auch die klare Zweiteilung in Gute und
Schlechte. Nur noch ganz Wenige werden nicht durch Christus errettet (LuB
76:43) und alle anderen ererben eines von drei Graden der Herrlichkeit (LuB
76), die noch einmal in Untergrade geteilt sind (LuB 131:1-2). Und während
gemäß LuB 76 Wesen aus höheren Herrlichkeiten denjenigen in niederen Herrlichkeiten
dienen (LuB 76:86-88) dreht sich der Spieß in LuB 132 um und die celestialen
Engel dienen denjenigen der obersten celestialen Herrlichkeit (LuB 132:16-17).
Die dreiteilige Einteilung der Himmel mag auf Vorstellungen von Swedenborg oder
der Freimaurer zurückgehen.
So wie
jüdische Vorstellungen sich dramatisch wandelten und eine Harmonisierung
späterer mit früheren Ansichten unmöglich ist, so stehen auch die heutigen
Lehren der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage im Widerspruch zu
den früheren Aussagen und insbesondere dem Buch Mormon. Wurde im Buch Mormon
noch denjenigen, die ohne das Gesetz sterben, ewiges Leben versprochen (Mosia
15:24; Mosia 3:11; Moroni 8:22), schaffen sie es laut LuB 76:72 nur mehr ins
terrestriale Reich. Aus der „Auferstehung endloser Verdammnis“, wo sie dem
Teufel übergeben werden (Mosia 16:11; 3. Nephi 26:5), ist eine Herrlichkeit der
Telestialen geworden, „die alles Verständnis übersteigt“ (LuB 76:89). Warnt
Jesus bei seinem Besuch, dass die Mehrzahl der Menschen den Weg zum Tod wählen
(3. Nephi 27:33, siehe auch Jakob 3:11; Alma 12:16; Helaman 14:17-18), so sind
dies in Lehre und Bündnisse nur noch verschwindend wenige Söhne des Verderbens
(LuB 76:30-37), die den zweiten Tod erfahren. Die Änderung kam recht plötzlich:
in LuB 63:17 sind es noch
„die Fürchtenden
und die Ungläubigen und alle Lügner und wer auch immer Lüge liebt und tut und
die Unzüchtigen und die Zauberer“, die „Teil haben in dem See, der mit Feuer
und Schwefel brennt, was der zweite Tod ist.“ Sechs Monate später sind es nur
noch die Söhne des Verderbens, „die mit dem Teufel und seinen Engeln
hinweggehen werden in den See von Feuer und Schwefel— und die einzigen, über
die der zweite Tod irgendwelche Macht haben wird“ (LuB 76:35-37).
Gleiches zum
Bestimmungsort der Rechtschaffenen, die Erde, in ihrem endgültigen Zustan: in
LuB 38:18-20 noch als ein Land beschrieben, „in dem Milch und Honig fließen“;
in LuB 130:7,9 nunmehr ein „ein Meer von Glas und Feuer“, „kristallgleich“.
Irgendwie
schwer zu glauben, dass wir diese veränderten Vorstellungen vom Zustand nach
dem Tod im Wesentlichen wachsender Erkenntnis durch göttliche Offenbarung zu
verdanken haben. Denn warum sollte Gott über Tausende von Jahren Falsches
verkünden lassen. Die ‚natürlich-menschliche‘ Erklärung der Veränderung auf
Basis persischer und griechischer Einflüsse und zu Joseph Smiths Zeiten durch
die Universalisten, Swedenborg und Freimaurer erscheint mir da viel
naheliegender.