Sind Mormonen/Christen Atheisten?


"Bedenke: jeder gläubige Moslem hat die gleichen Gründe, ein Moslem zu sein wie du, ein Christ zu sein. Und doch findest du ihre Gründe nicht überzeugend. Der Koran erklärt wiederholt, dass es das inspirierte Wort des Schöpfers des Universums ist. Moslems glauben dies genauso wie du dies von der Bibel glaubst. Es gibt eine umfangreiche Literatur über das Leben von Muhammad, dass aus der Sicht des Islam beweist, dass er der jüngste Prophet Gottes war. Muhammed versichert seinen Anhänger, dass Jesus nicht göttlich ist und dass jeder, der so nicht glaubt, die Ewigkeit in der Hölle verbringen wird.

Warum verlierst du keinen Schlaf darüber, zum Islam zu konvertieren? Kannst du beweisen, dass Allah nicht der eine, wahre Gott ist? Kannst du beweisen, dass der Erzengel Gabriel Mohammed nicht in seiner Höhle besucht hat? Natürlich nicht. Aber du musst nichts davon beweisen, um die Glaubensansichten von Moslems als absurd abzulehnen. Die Beweislast liegt bei ihnen zu zeigen, dass ihre Glaubensansichten über Gott und Mohammed stichhaltig sind. Dies haben sie nicht getan und können dies nicht.

Moslems machen einfach keine Behauptungen über die Wirklichkeit, die bestätigt werden können. Das ist denen völlig klar, die nicht mit dem Dogma des Islam indoktriniert sind.

Die Wahrheit ist, dass du genau weißt, was es heißt, ein Atheist zu sein in Bezug auf den Glauben des Islams. Ist es nicht offensichtlich, dass Muslime sich selbst täuschen? Ist es nicht offensichtlich, dass jeder, der denkt, dass der Koran das perfekte Wort des Schöpfers des Universums ist,  das Buch nicht kritisch gelesen hat? Ist es nicht offensichtlich, dass die Lehre des Islam eine nahezu perfekte Barriere für ehrliche Forschung und Untersuchung darstellt? Ja, diese Dinge sind offensichtlich. Verstehe, dass die Art und Weise, wie du den Islam siehst, genau die Art und Weise ist, wie gläubige Moslems auf das Christentum blicken. Und es ist die Art und Weise, wie ich alle Religionen sehe."
(aus Sam Harris, Letters to a Christian Nation)

Gedankenspiele

Die 'Mormonen-Kirche' lehrt zweifelsohne viele gute Werte, aber macht sie das wahr? Sicherlich nicht, denn wenn ich heute eine Religion begründen würde, die die Zahnfee verehrt und das regelmäßige Zähneputzen als Doktrin lehrt, so würde diese Religion Gutes bewirken. Dennoch wäre es verkehrt, auch wenn es keine andere Institution gäbe, die das regelmäßige Zähneputzen proklamiert.

Wer war Jesus wirklich?

"Es ist ein religionsgeschichtliches Grundgesetz, dass jede Religion ihre Stifterfiguren verzerrt darstellt, sie erhöht und idealisiert. Man schreibt ihnen Taten zu, die sie nicht getan haben, Worte, die sie nie sagten, unterstellt ihnen Absichten, die sie nie hegten, und macht sie zu Helden, die sie nie waren. Man muss jeder Religion in dieser Hinsicht misstrauen und damit auch allen so genannten Heiligen Schriften. Denn da die Heiligen Schriften einer Religion sich schon widersprechen und mehr noch die Heiligen Schriften der Religionen untereinander, so kann man sagen: Heilige Schriften sind in besonderer Weise Zeugnisse der Unwahrheit. Das Ansehen, dass sie genießen, haben sie nicht verdient. Dabei ist es jedoch nicht ein bewusster Wille zur Täuschung, der hier wirkt. Verschwörungstheorien greifen zu kurz, die eine Religion quasi als Erfindung von Kreisen, Gruppen oder einer Herrschaftsklasse sehen will, weil diese an der Erfindung ein Interesse hätte. Es handelt sich hier weniger um Betrug als vielmehr um Selbstbetrug. Die Gläubigen werden weniger aktiv  betrogen, sondern haben viel mehr die Tendenz, sich selbst zu betrügen, sich Dinge einzureden, an die sie gerne glauben möchten, Rituale zu vollziehen, von denen sie sich Hilfe versprechen, und religiöse Führer zu verehren, die sie verehren wollen. Die Fähigkeit zum Selbstbetrug ist die entscheidende Voraussetzung für Religion überhaupt, die Quelle, aus der die schillernde Vielfalt religiöser Anschauungen und Praktiken entspringt. Angesichts Tausender Religionen mit sich widersprechenden Glaubenssätzen ist der Selbstbetrug in der Religion so sicher wie das Amen in der Kirche. Doch der Selbstbetrug hat sich als Glaubensgewissheit getarnt, er ist für die Betroffenen kaum zu erkennen und Gläubigen von Außenstehenden kaum verständlich zu machen. Nicht aus dem Willen zur vorsätzlichen Täuschung heraus haben die Evangelisten das Leben Jesu gestaltet. Vielmehr entsprang die Unwahrheit aus der religiösen Ergriffenheit, aus dem Glauben an diesen Jesus. Wenn Matthäus ein Wunder, das er bei Markus vorgefunden hat, einfach verdoppelt oder anderswie steigert, so ist dies für ihn, anders als für unser modernes Verständnis, keine Verfälschung oder Erfindung, sondern Ausdruck seines Glaubens an diesen Gottessohn, der nach seinen Vorstellungen gar nicht großartig genug geschildert werden kann. Die Bodenhaftung der religiösen Stifterfiguren nimmt deshalb mit zunehmender Verehrung ab. Dies darf für alle Religionen unterstellt werden, genauer untersuchen kann man es in den Buchreligionen, und besonders untersucht worden ist es beim Christentum und bei den neutestamentlichen Schriften.

Jesus war nicht der, als den ihn die Evangelisten und später die Kirche ausgeben. Sein Bild ist verzerrt und an nicht wenigen Stellen in sein Gegenteil verkehrt. Heute eine Binsenweisheit, den Theologen und der Forschung längst bekannt, ist diese aber noch lange nicht in den Köpfen der Gläubigen angekommen. Der Jesus der Kirche ist eine Kunstfigur, zurechtgeschnitzt von einer Vielzahl gläubiger Handwerker, zu deren wichtigsten die Evangelisten und Paulus gehörten. Das wenige, was wir von ihm wissen, muss mühsam unter den Übermalungen der Evangelisten freigelegt werden. Und was wir finden, ist wenig spektakulär.
Jesus von Nazareth muss gesehen werden als einer von vielen Vertretern eines apokalyptisch bestimmten Judentums. Über seine Kindheit und Jugend ist nichts bekannt, die wundersamen Legenden über seine Geburt verdienen diese Bezeichnung eigentlich nicht, denn es findet sich in ihnen kein historischer Kern. Allesamt sind sie fromme Erfindungen, sind nicht nur märchenhaft. Sie verdanken ihre Existenz dem verständlichen Wunsch, den religiösen Führer auch mit einer bedeutenden Geburt und Kindheit auszustatten. Kindheit und Jugend waren jedoch offenbar unspektakulär gewesen, denn als Jesus seine Wirksamkeit recht spät endlich beginnt, waren seine Verwandten keineswegs darauf vorbereitet. Sie halten ihn für verrückt und wollen ihn nach Hause holen. Viel spricht dafür, dass er in Johannes dem Täufer so etwas wie einen Mentor gesehen hat, den er offenbar bis zu seinem Tod verehrte. Man kann im Neuen Testament noch erkennen, dass die Meinung von Johannes über Jesus weit weniger enthusiastisch war. Auch hat im ersten Jahrhundert zwischen Jesus-  und Johannesjüngern noch so etwas wie eine Rivalität bestanden. Jesus kommt jedenfalls aus der Johannesbewegung, was sich auch aus den großen Übereinstimmungen zwischen dessen Lehre und der Verkündigung Jesu erkennen lässt. Wenn Jesus dessen Jünger war – trotz aller Wahrscheinlichkeit gibt es keinen direkten Beweis dafür –, so haben dies die Evangelisten jedenfalls streichen müssen, weil es bald als anstößig empfunden wurde. Sicher ist jedoch, dass Jesus von Johannes getauft worden ist und dass er sich insofern auch als Sünder sah, der dieser Taufe bedurft hat. Die Sündlosigkeit Jesu ist spätere Dogmatik und wird ihm übergestülpt wie so vieles mehr. Seine Taufe versucht die Überlieferung später zu relativieren, der Evangelist Johannes lässt sie ganz weg.

Der Kern der Verkündigung Jesu ist die Lehre von der unmittelbar bevorstehenden Gottesherrschaft, die Wende der Geschichte durch ein direktes Eingreifen Gottes und die Aufrichtung einer nicht jenseitig, sondern irdisch gedachten Königsherrschaft Gottes. Die Nähe dieser Gottesherrschaft hat schon der Täufer verkündet. Johannes und Jesus sahen sich beide als so etwas wie die letzten Warner vor diesem endzeitlichen Eingreifen Gottes. Beide hatten eine ausgeprägte Naherwartung und beide haben sich in diesem zentralen Punkt ihrer Verkündigung geirrt. Denn das Reich Gottes ist nicht gekommen, es ist auch nach 2000 Jahren nicht da. Jesu Prophezeiung war Falschprophetie.

Jesus hat wie Johannes einen Kreis von Jüngern um sich gesammelt und ist mit diesen als eine Art Wanderprediger in Galiläa herumgezogen, vorwiegend in der Nähe des Sees Genezareth. Diese Wirksamkeit hat wohl nicht länger als ein Jahr gedauert, vielleicht auch nur wenige Monate. Man wird ihm eine gewisse rhetorische Begabung zusprechen müssen sowie grundsätzlich die Fähigkeit, andere Menschen zu begeistern, denn neben dem engeren Jüngerkreis gab es offenbar viele, die ihn unterstützten, darunter auch Frauen. Seine Wirksamkeit bestand im Predigen, oft in Form von Gleichnissen und zuweilen auch in Auseinandersetzung mit den religiösen Provinzautoritäten, vor allem den Pharisäern. Doch scheint es sicher, dass die schroffe Abgrenzung zu den Pharisäern eher die Distanz der frühen Christen zum Judentum widerspiegelt als die Distanz Jesu zu ihnen.

Neben einer die Menschen bewegenden Predigtgabe hatte Jesus auch den Ruf eines Exorzisten und Wundertäters. Es wurden ihm Heilkräfte zugesprochen, Kranke suchten seine Nähe. Und vermutlich hat er selber in seinem Handeln, vor allem in den Exorzismen, eine besondere Erwählung durch Gott erkannt, vielleicht sogar eine Bestätigung der nah bevorstehenden Gottesherrschaft. Zum Passahfest verließ er seinen galiläischen Wirkungsbereich und zog mit seinen Jüngern vermutlich erstmals nach Jerusalem. Hier ist er alsbald von den Römern gekreuzigt worden. Die Gründe dafür sind unklar, es spricht jedoch einiges dafür, dass es vor allem seine Störung des Tempelkults und seine Tempelkritik und damit ein indirekter Angriff auf die sadduzäische Oberschicht waren. Diese waren sich mit den Römern einig, Störungen Einzelner anlässlich des sensiblen Festes mit Zigtausenden Pilgern sofort zu unterbinden. Die Hinrichtung Jesu erfolgte möglicherweise präventiv , er starb den Tod eines Aufrührers. Sein Tod traf Jesus vermutlich unvorbereitet und auch unbeabsichtigt, seine Jünger hat er offenbar nicht darauf vorbereitet. Sie flohen aus Jerusalem zurück nach Galiläa. Die in den Evangelien überlieferten Leidensweissagungen sind spätere Erfindungen der Gemeinde. Nach seinem Tod behaupteten seine Jünger (unklar ist wann), er sei von den Toten auferstanden. Der Ursprung des Auferstehungsglaubens besteht möglicherweise in subjektiven Visionen einzelner Jünger, unbeteiligte Zeugen hierzu gibt es offenbar keine. Die Erscheinungsgeschichten sind allesamt spätere Bildungen der Gemeinde.

Soweit die dürftigen Eckdaten zu seinem Leben, mühsam erhoben vor allem aus den synoptischen Evangelien, hier bereits stark übermalt und idealisiert, doch noch weit entfernt von späterer Verherrlichung und Vergöttlichung. Wir haben das Leben eines frühjüdischen Apokalyptikers vor uns, der ganz und gar im Judentum lebte und als Jude am Kreuz gestorben ist. Es ist das historische Grundmissverständnis der christlichen Kirchen, dass dieser Jesus von Nazareth auch nur irgendetwas mit dem Christentum zu tun hat. Und es ist eines der historischen Generalparadoxa, dass ausgerechnet er zur Stifterfigur eine Kirche wurde, die das Judentum mehr als alle anderen Religionen bekämpft und unterdrückt hat. Denn dass sich Jesus bis zuletzt als Jude verstanden und gefühlt hat, darüber besteht in der Forschung nicht der geringste Zweifel. Die Transformation Jesu zum Begründer oder zum Grundleger des Christentums war nur zu haben um den Preis einer fast gewaltsamen Umdeutung dessen, was er in seinem Innersten gewollt hat, war nur zu haben durch den Akt einer geistesgeschichtlichen Vergewaltigung. ... Nichts hat er getan, was über sein Judesein hinausweist, an den einen Gott hat er geglaubt, zu ihm hat er gebetet mit seinem Gebet, welches durch und durch ein jüdisches Gebet ist. Gottes-  und Nächstenliebe hat er gepredigt, auch dies in guter jüdischer Tradition. I n den Synagogen hat er gelehrt, von der Aufrichtung der Gottesherrschaft hat er gesprochen, in der Überzeugung von deren Nähe gelebt. Er war ein Jude unter Juden und wollte nichts anderes sein. Das Gebiet der Heiden hat er demonstrativ  gemieden. Es hat ihm alles nichts geholfen, die christliche Kirche hatte nach seinem Tode die Deutungshoheit über sein Leben und hat davon ausgiebig Gebrauch gemacht. Indem sie ihn zu ihrem Herrn machte, machte sie ihn zu einer tragischen Gestalt.

Ihn endlich und zur Gänze als frommen Juden zu akzeptieren, werden die Kirchen niemals sich bereitfinden, denn sie brauchen ihn als Sohn Gottes, der neben seinem Vater auf dem Thron sitzt. Und beides zusammen geht nicht, auch wenn aufgeklärte Christen dies auf die Reihe zu bringen meinen. ...
Wie die Gläubigen später war auch er einem Selbstbetrug erlegen, der irrigen Meinung, das Reich Gottes stünde unmittelbar bevor. Der Irrtum Jesu stellt ihn in eine lange Reihe religiöser Schwärmer, angefangen im jüdischen Bereich mit den ersten Apokalyptikern und nicht endend mit den Zeugen Jehovas, die schon mehrmals das Weltende vorhergesagt haben. Jesus steht mit seinem Irrglauben in einer Reihe mit den Schwärmern der Reformation, mit Endzeitmönchen des Mittelalters, mit ketzerischen Volksbewegungen, die, von der Kirche verfolgt, das baldige Ende der Welt verkündigten. Er steht in einer Reihe mit unzähligen Sekten, die auf das Ende der Zeiten warten, mit Pietisten, Enthusiasten, religiösen Predigern, selbsternannten Propheten, allen jenen, die des Anbruchs des neuen Äons harren. Heute noch wartet man in frommen Kreisen auf die Aufrichtung des Reiches Gottes und auf die Wiederkunft dessen, der selber vor zweitausend Jahren schon vergeblich auf dieses Reich gewartet hat. Alle dieser Vertreter einer Naherwartung, alle diese Mahner, diese Vorankündiger haben sich allesamt der Lächerlichkeit preisgegeben, zumindest im Nachhinein. Denn es war ja alles falsch. Jesus war nicht der Erste und erst recht nicht der Letzte in dieser Reihe von religiösen Endzeitpredigern. Doch er war ihr bekanntester. [...]

Wie die Kirche den Juden Jesus zum quasi ersten Christen umgebogen hat, so hat sie sich auch seine Lehre so zurechtgebogen, wie sie es brauchte. Im Ergebnis spielte es gar keine Rolle mehr, was Jesus wirklich gedacht und gesagt, was er wirklich gewollt hat. Der religiöse Glaube macht sich die Welt, gerade wie sie ihm gefällt. Es ist offenbar auch dies ein religionsgeschichtliches Gesetz: Ein Religionsstifter hat weit weniger Einfluss auf die Ausformung einer bestimmten Lehre als diejenigen, die ihn als Erste tradieren, die seine ersten Anhänger sind. Paulus hat weit mehr Einfluss auf die Ausbildung des Christentums und die christlichen Grundlehren gehabt als Jesus selbst. Und bereits Paulus hat es sich leisten können, einen völlig anderen Jesus der Welt zu präsentieren, ein Kunstprodukt seiner Fantasie. Nach dem Willen des vermeintlichen Stifters hat er nicht gefragt. Und auch die Kirche hat dies wenig interessiert, sie hielt sich eher an Paulus oder an ihre eigene Lehrtradition.

Indem die Kirche Jesu „heiligen Willen“ (Goethe) missachtete, legte sie den Grundstein für ihre eigene Existenz. Das Christentum basiert auf einem weltgeschichtlich überaus wirksam gewordenen Irrtum. Dabei sei erneut betont: Es ist kein aktiver Betrug im Sinne einer Verschwörungstheorie, es ist vielmehr ein Selbstbetrug von Gläubigen, wie er wohl am Beginn v on allen Religionen steht. Die Gläubigen haben nicht bewusst eine Religion erfunden, sie haben sich eher in religiöse Anschauungen und Überzeugungen hineingeglaubt. Aus den anfangs noch relativ  unentwickelten und vielfach noch gegensätzlichen Glaubensvorstellungen entstanden bald festere Glaubenssätze. Der paulinische Einfluss und die Dominanz des Heidenchristentums, später dann die altchristlichen Konzilien haben das Ihrige getan. Am Ende stand ein Christusbild, welches mit dem historischen Jesus nicht mehr das Geringste zu tun hatte. Die Kirchen glauben an eine von ihnen selbst geschaffene Fiktion und halten diesen Glauben für eine Tugend.

Mit Jesus hat dies nichts zu tun, und dies ist in mancher Hinsicht auch gut so. Denn sein Glaube hatte durchaus fragwürdige Züge. Er war ein religiöser Extremist, das Reich, dass er erwartete, war kein Reich des Friedens, es bedeutete ebenso Gericht. Obwohl sich in seiner Verkündigung auch humane und fortschrittliche Züge finden, ist sein Denken doch in den gängigen apokalyptischen Vorstellungen seiner Zeit gefangen. Es ist geprägt von Gerichtsgedanken und Höllenglauben, von Heulen und Zähneknirschen, erfüllt nicht nur von Gottes Gnade, sondern auch vom Leid derer, die verworfen werden. Seine Nächstenliebe, gar Feindesliebe findet ihre rasche Grenze in diesen unmenschlichen und grausamen zeitgenössischen Vorstellungen, von denen er sich offenbar nicht hat befreien können. Diese dunklen Züge seiner Verkündigung werden oft übersehen, es wird nicht wahrgenommen, „dass Jesus eine radikale Bekehrungsreligion lebte und verkündigte. Dies heißt auch: Jesus ist nirgendwo ‚lieb‘ und vertraut. Er ist kein Seelenfreund und erst recht kein ‚herzallerliebstes Jesulein‘. Er ist auch kein Kämpfer für die Solidarität mit den Entrechteten. Seine Person und Botschaft tragen durchaus autoritäre Züge.“ (Roman Heiligenthal, Der verfälschte Jesus, S. 27). Die Gerichtspredigt hat er vielleicht von Johannes dem Täufer übernommen, der mit ihr noch viel stärker hausieren ging als Jesus. Doch sie ist auch bei ihm präsent. Jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird ausgerissen und verbrannt. [...]

Sieht man Jesus in den Grenzen seiner Religion, seiner eigenen Religion, wird schnell seine Begrenztheit deutlich, bei allen durchaus positiven Anschauungen, die dieser Apokalyptiker auch gehabt hat. Jesus von Nazareth dürfte die am meisten überschätzte Figur der Weltgeschichte sein." (aus Heinz-Werner Kubitza, Der Jesuswahn)

Wann kommt Jesus wieder?

Elaine S. Dalton, Präsidentin der Jungen Damen, im August Liahona
"Ich glaube wirklich, dass diese Generation die Erde auf das Zweite Kommen des Erretters vorbereitet. Ich bitte die Jugendlichen inständig, daran zu denken, dass sie voll Zuversicht in seiner Gegenwart stehen wollen, wenn er wiederkommt."

Boyd K. Packer, Generalkonferenz Oktober 2011:
"Manchmal mögt ihr versucht sein, so zu denken, wie ich manchmal in meiner Jugend gedacht habe: „So wie sich die Dinge entwickeln, wird es mit der Welt bald aus sein. Das Ende der Welt kommt, bevor ich angekommen bin, wo ich sein sollte.“ Irrtum! Ihr könnt euch darauf freuen, das Rechte zu tun: heiraten, eine Familie gründen, Kinder und Enkelkinder kommen sehen, vielleicht sogar Urenkel."

Ja, was denn nun, kommt er bald wieder oder dauert es noch länger? Könnten sich die Kirchenführer bitte mal einigen. Es muss ja nicht den genauen Tag betreffen.

Vorsicht vor Wasser

Lehre und Bündnisse 61:14-19:
"Siehe, ich, der Herr, habe am Anfang die Wasser gesegnet; aber in den letzten Tagen habe ich durch den Mund meines Knechtes Johannes die Wasser verflucht.
Darum werden die Tage kommen, da kein Fleisch auf den Wassern sicher sein wird.
Und in künftigen Tagen wird man sagen, daß niemand imstande ist, auf den Wassern nach dem Land Zion hinaufzugehen, als nur jemand, der im Herzen aufrichtig ist.
Und so wie ich, der Herr, am Anfang das Land verflucht habe, so habe ich es in den letzten Tagen, zu seiner Zeit, zum Gebrauch meiner Heiligen gesegnet, damit sie an dessen fettem Ertrag teilhaben mögen.Und nun gebe ich euch das Gebot, daß ich das, was ich zu einem sage, zu allen sage, daß ihr eure Brüder in bezug auf diese Wasser vorwarnt, damit sie nicht auf ihnen anreisen und ihr Glaube versage und sie in Schlingen gefangen werden; ich, der Herr, habe beschlossen, und der Zerstörer fährt auf deren Antlitz einher, und ich widerrufe den Beschluß nicht."

Dies zeigt exemplarisch die Geisteshaltung von Joseph Smith und den frühen Mormonen, der kulturelle Hintergrund der Gründung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage: Sie hatten ständig die wildesten Visionen und alles, was ihnen in den Sinn kam, wurde zu Offenbarung erklärt. Die oben genannte "Offenbarung" wird zwar nicht mehr betont, aber noch heute ist die Konsequenz, dass Missionare nicht Schwimmen gehen dürfen.

Göttliche Sklaverei

Laut Altem Testament empfing Mose göttliche Gesetze zu allen möglichen Aspekten des Lebens und so auch in Sachen Sklaverei:

"Die Sklaven und Sklavinnen, die euch gehören sollen, kauft von den Völkern, die rings um euch wohnen; von ihnen könnt ihr Sklaven und Sklavinnen erwerben." (Levitikus 25:44)

Und auch in den 10 Geboten finden wir den Hinweis, dass wir die Sklaven und Sklavinnen anderer nicht begehren sollen.


Hinsichtlich israelitischer Sklaven konnte Gott sich anscheinend nicht so recht entscheiden. Nach Levitikus war es gänzlich untersagt:
"Aber was eure Brüder, die Israeliten, angeht, so soll keiner über den andern mit Gewalt herrschen."
In Exodus 2 hingegen ist es okay:
"Wenn du einen hebräischen Sklaven kaufst, soll er sechs Jahre Sklave bleiben, im siebten Jahr soll er ohne Entgelt als freier Mann entlassen werden." (Exodus 21:2)

Wie human also, dass männliche israelitische Sklaven nur sechs Jahre Sklaverei erdulden mussten. Und klar, dass weibliche Sklaven nicht einfach so freigelassen werden können.

Nun mag man einwenden, dass es damals ja gänzlich andere Zeiten gewesen waren, wo Sklaverein nun einmal ein normaler Bestandteil gewesen ist. Aber hätte Gott statt das Tragen von Kleidung aus zweierlei Stoffen nicht doch lieber die Sklavenhaltung verbieten können? Aber gut, bei Abraham hat er schon nichts gesagt.

Im Alten Testament ging es ja generell nicht wirklich nett zu, insofern sollte es uns auch nicht wirklich überraschen. Glücklicherweise haben wir noch das Neue Testament. Und sicher hat Jesus die Sklaverei verpönt. Leider nein, im Gegenteil:

"Wenn einer von euch einen Sklaven hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Nimm gleich Platz zum Essen? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich; wenn ich gegessen und getrunken habe, kannst auch du essen und trinken. Bedankt er sich etwa bei dem Sklaven, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde? So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan." (Lukas 17:7-10)

Gut, er hat die Sklaverei nicht ausdrücklich gutgeheißen, sondern nur als Illustration verwendet. Dafür sorgen dann schon andere Passagen wie:
"Alle, die das Joch der Sklaverei zu tragen haben, sollen ihren Herren alle Ehre erweisen, damit der Name Gottes und die Lehre nicht in Verruf kommen." (1. Timotheus 6:1)
"Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren in allem!" (Kolosser 3:22)

Joseph Smith hingegen stand der Sklaverei durchaus kritisch gegenüber und hat sich für die Auslösung von Sklaven eingesetzt. Allerdings hat sein Nachfolger Brigham Young die Sklavenhaltung in Utah legalisiert und auch selber Sklaven gekauft und gehalten.

Und lehrt uns Lehre und Bündnisse 132:16 nicht sogar, dass es ewige Knechtschaft im Himmel gibt:
"Darum werden sie, wenn sie außerhalb der Welt sind, weder heiraten noch verheiratet werden, sondern werden zu Engeln im Himmel bestimmt; und diese Engel sind dienende Knechte, um denen zu dienen, die eines vermehrten und eines überaus größeren und eines ewigen Gewichts an Herrlichkeit würdig sind."

Dies wurde nicht nur theoretisch verkündet, es wurden sogar Frauen als Dienstmädchen in alle Ewigkeit an Joseph Smith gesiegelt. So 1894 die Schwarze Jane Manning mit Joseph F. Smith stellvertretend für Joseph Smith im Tempel.

Vielleicht nur ein Ausrutscher und Resultat der damaligen Diskriminierung von Schwarzen in der Kirche - hoffentlich.

Lügen für den Herrn


Es besteht kein Zweifel darin, dass die Kirche die Lüge als Sünde und Ehrlichkeit als Tugend erklärt. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel wie das Gesangbuch untermauert Tu, was ist recht! Lass dich Folgen nicht sorgen.”

Dennoch mag es Fälle geben, wenn die Unwahrheit zu sagen, gerechtfertigt ist. Beispielsweise wenn man während des Dritten Reichs Juden versteckt hätte und von der Gestapo gefragt werden würde, ob sich Juden im Haus aufhalten. Und natürlich hat es auch wenig mit Ehrlichkeit zu tun, wenn man jedem ins Gesicht sagt, was man von ihm oder seinem Aussehen hält. So finden wir im Alten Testament das Beispiel Abrahams, der über seine Beziehung zu seiner Frau log, aus Angst umgebracht zu werden.

Ist eine Lüge nur das offensichtliche Aussprechen von Unwahrheit?

„Eine Lüge ist jede Art von Kommunikation mit der Absicht andere zu täuschen. ... Eine Lüge kann gewissermaßen erzählt werden, ohne dass Worte jemals gesprochen werden. Manchmal kann ein Kopfnicken oder Schweigen täuschen. Fragwürdige Anlagegeschäfte zu empfehlen, einen falschen Eintrag in ein Kassenbuch zu machen, hinterhältiger Einsatz von Schmeichelei oder das Unterlassen, alle einschlägigen Tatsachen zu enthüllen, sind noch ein paar andere Möglichkeiten, um Lügen zu machen.
(Marvin J. Ashton, Ensign June 1982)

„Auch das Teilen von Wahrheit kann den Effekt von Lüge haben, wenn wir nur Halbwahrheiten sagen, die kein vollständiges Bild erzählen. Wir können auch schuldig sein, falsches Zeugnis abzulegen und zulügen, wenn wir nichts sagen, vor allem, wenn wir einem anderen erlauben, zu einer falschen Schlussfolgerung zu gelangen, während wir Informationen zurückbehalten, die zu einer genaueren Einschätzung geführt hätten. In diesem Fall ist es, als ob eine tatsächliche Lüge gesprochen wurde.“
(Robert J. Matthew, Ensign Oktober 1994)

Wie hat es Joseph Smith mit der Wahrheit gehalten?

Joseph Smith erklärte während er Dutzende Frauen ehelichte:
„Ich war kaum fünf Minuten verheiratet und verkündete das Evangelium, bevor es berichtet wurde, dass ich sieben Frauen habe. ... Was für eine Sache es ist, einem Mann Ehebruch vorzuwerfen und sieben Frauen zu haben, wenn ich nur eine finden kann. Ich bin der gleiche Mann und so unschuldig, wie als ich 14 Jahre alt war, und ich kann beweisen, dass sie alle Verleumder sind.“
(History of the Church 6:410-411)

Ebenso erklärte John Taylor 1850 während er mindestens 12 Frauen hatte:
„Wir sind hier der Polygamie angeklagt und zutiefst unfeinen, obszönen und ekelhaften Handlungen, wie sie nur diejenigen mit korrupten und verdorbenen Herzen ersinnen können. Diese Dinge sind zu empörend, um sie zuzugeben oder zu glauben: ... deshalb werde ich mich damit zufrieden geben, unsere Ansichten über Keuschheit und Ehe aus Lehre und Bündnisse, Seite 330 vorzulesen: ... Insofern dieser Kirche Jesu Christi das Verbrechen der Unzucht und Polygamie vorgeworfen wurde, erklären wir, dass wir glauben, dass ein Mann eine Frau haben sollte, und eine Frau nur einen Mann, außer im Falle des Todes, wenn es beiden freisteht wieder zu heiraten.“
(The Changing World of Mormonism, S. 261f.)

Dieser zitierte Abschnitt 101 wurde 1835 zu Lehre und Bündnisse hinzugefügt, um Joseph Smiths Vielehen zu bestreiten, und erst 1876 durch Abschnitt 132 ersetzt.

Joseph Smith log auch über die Kirtland Bank, die entgegen dem Gesetz gegründet wurde:
Ich war erstaunt zu hören, wie er erklärte, dass wir $ 60,000 in Münzen in unserem Tresor und $ 600,000 zu unserer Verfügung hätten, wenn wir nicht mehr als $ 6,000 besaßen und nicht mehr zur Verfügung hatten, auch, dass wir rund zehntausend Dollar in Scheinen im Umlauf hätten, wenn er als Kassierer dieser Institution wusste, dass es mindestens $ 150,000 waren.
(William Parrish, Letter to Zion`s Watchmen, March 4 1838)

Diese Tradition wurde fortgeführt als man 1890 offiziell der Polygamie abschwören musste, diese aber heimlich bis mindestens 1911 weitergeführt wurde.

Wie sieht es heute aus?

Auf der offiziellen Website der Kirche mormon.org finden wir Informationen über Joseph Smith. Darunter einen Abschnitt über ihn als „Ein fürsorglicher Ehemann und Vater“:
„Joseph hielt sich an das, was er predigte – dass es uns nämlich vorrangig darum gehen muss, die Familie zu stärken. Als sich Joseph Smith in Lebensgefahr befand, half ihm sein Glaube an Jesus Christus, selbst auszuharren und auch seiner Frau und seinen Kindern eine Stütze zu sein.“
Kein Hinweis auf seine über 30 Frauen, seine hinter Emmas Rücken arrangierten Treffen mit den Frauen usw.

Zu den Umständen seine Todes heißt es:
„Er starb nicht unter den mitfühlenden Augen der Welt, sondern wurde von einem Pöbel erschossen, als er aufgrund falscher Anschuldigungen im Gefängnis saß.“
Falsch: die Anschuldigungen waren nicht falsch, denn er hatte die Druckerpresse des Expositors zerstören lassen, um die Veröffentlichung seiner Machenschaften zu verhindern.

Natürlich finden wir auch keine Hinweise auf seine abergläubische Schatzsucher-Vergangenheit, den widersprüchlichen Versionen der Ersten Vision usw. Und anstelle des im Hut verborgenen Gesichts bei der Übersetzung ohne dass die Platten verwendet wurden, findet sich die übliche fälschliche Darstellung des Übersetzungsprozesses.



Was ist mit unseren heutigen Aposteln und Profeten?

Im Oktober 2009 erklärte Elder Holland in der Generalkonferenz:
„Ich halte dieses Buch hier in der Hand, dasselbe Buch, aus dem Hyrum las; dieselbe umgeknickte Seitenecke ist noch immer zu sehen. Später – eingekerkert im Gefängnis – wandte sich Joseph Smith, der Prophet, den Wachen, die ihn gefangen hielten, zu und gab machtvoll Zeugnis von der wirklich göttlichen Herkunft des Buches Mormon.“

Vielleicht ein harmloser Irrtum, aber 2 Jahre zuvor wurde eine andere Kopie des Buches Mormon als das von Hyrum Smith verwendete Exemplar ausgegeben:

http://www.ldschurchnews.com/articles/50543/Fabric-of-history-Geo-A-and-Bathsheba-Smith-artifacts-donated-to-Church.html



Während jener Herbst-Generalkonferenz 2009 erzählte Präsident Thomas S. Monson die Geschichte von Thomas B. Marsh, wie er letztlich ausgelöst durch Nichtigkeiten von der Kirche abgefallen war:

„Elder Thomas B. Marsh, der die ganze Zeit hinter seiner Frau gestanden hatte, wurde mit jeder neuen Entscheidung zorniger – so zornig, dass er sogar vor einem Friedensrichter unter Eid aussagte, die Mormonen seien dem Staat Missouri feindlich gesinnt. Diese eidesstattliche Erklärung führte dazu – oder trug zumindest dazu bei –, dass Gouverneur Lilburn Boggs den grausamen Ausrottungsbefehl erließ, durch den über 15 000 Heilige aus ihren Häusern vertrieben wurden, was schreckliches Leid nach sich zog und weshalb viele ihr Leben lassen mussten. All das war die Folge eines Streits über den Austausch von Milch und Rahm.“

Die Fabel mit der Milch und Rahm wurde erstmals 1864 durch George A. Smith in Umlauf gebracht. Bis dahin gab es hierzu keinerlei Aufzeichnungen, auch nicht von den angeblichen Kirchenverfahren die Präsident Monson erwähnt. Das Problem mit Präsident Monsons Geschichte ist aber nicht so sehr die fragwürdige historische Basis, sondern die in die Irre führende Aussage der Geschichte, nämlich die Auseinandersetzung über eine Kleinigkeit habe zu Thomas B. Marshs Verlassen der Kirche geführt.

Die Wahrheit ist, dass Marsh die Kirche im Oktober 1838 aus Protest verlassen hat, weil von den Mormonen Ortschaften wie Gallatin in Missouri geplündert und ausgebrannt wurden. Er fürchtete, Joseph Smith würde ganz Missouri in ein Blutbad verwandeln. Man mag darüber streiten, ob seine Einschätzung, die er damals mit Apostel Hyde teilte, richtig war. Fakt ist jedoch, dass seine Aussage korrekt war und er die Überfälle der Mormonen-Banden als Präsident des Rates der Zwölf mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte. Milch und Sahne spielten dabei keine Rolle.

Die Geschichte diente letztlich dazu, Thomas B. Marshs Handeln lächerlich zu machen. Die Wahrheit war weitaus komplexer und unangenehmer für die Kirche. Und das gilt in der Regel auch dafür, warum Mitglieder heutzutage die Kirche verlassen.

Und so ist auch die Geschichte seiner Rückkehr komplexer und unsauberer als dargestellt. Hätte der Vater des verlorenen Sohnes ihm bei seiner Rückkehr ins Gesicht gespuckt? Etwas ähnliches hat nämlich Brigham Young getan. Brigham Young ließ Marsh vor einer Versammlung der Mitglieder sprechen und dann über seine Aufnahme abstimmen. Thomas B. Marsh sagte:

„Ich will eure Gemeinschaft, ich will dass euer Gott mein Gott ist, und ich will mit euch für immer leben, in Zeit und Ewigkeit. Ich will das Volk Gottes nie mehr verlassen. Ich möchte euer Vertrauen haben, und ich möchte eins im Haus Gottes sein. Ich habe gelernt, zu verstehen, was David tat, als er, rief: "Ich würde eher ein Türsteher im Haus Gottes sein als in der Gottlosen Hütten wohnen." Ich bin nicht hierher gekommen, um eine Berufung anzustreben, ausser ein Türsteher oder ein Diakon zu sein, nein, ich bin weder würdig noch fit; aber ich will einen Platz unter euch als demütiger Diener des Herrn.“

Daraufhin sprach Brigham Young:
„Ich vermute, dass Bruder Marsh es mir nicht übel nimmt, wenn ich ein wenig über ihn rede. Wir haben unsere Gefühle ihm gegenüber manifestiert, und wir kennen seine Situation. Im Hinblick darauf, dass diese Kirche mit ihm versöhnt ist, kann ich sagen, dass diese Kirche und die Menschen nie mit ihm unzufrieden waren, denn wenn Männer und Frauen vom Glauben abfallen und von uns gehen, haben wir mit ihnen nichts zu tun. Wenn sie tun, was böse ist, werden sie dafür leiden. Bruder Marsh hat gelitten....
Es ist Ihnen gesagt, dass er ein alter Mann ist. Glauben Sie, dass ich ein alter Mann bin? Ich könnte dieser Gemeinde beweisen, dass ich jung bin, denn ich könnte mehr Mädchen finden, die mich als Mann wählen würden, als jeder der jungen Männer. Bruder Thomas hält sich für sehr alt und gebrechlich, und Sie können sehen, dass er ist, Brüder und Schwestern. Was ist die Ursache davon? Er verließ das Evangelium des Heils. Was denken Sie, ist der Unterschied zwischen seinem Alter und meinem? Ein Jahr und sieben Monate auf einen Tag, und er ist 1 Jahr, 7 Monate und 14 Tage älter als Bruder Heber C. Kimball. "Mormonentum" hält Männer und Frauen jung und schön, und wenn sie voll von dem Geist Gottes sind, gibt es keinen von ihnen, die kein Scheinen in ihren Gesichtern haben, und das macht Sie und mich jung, denn der Geist von Gott ist mit uns und in uns.
Als Bruder Thomas über die Rückkehr in die Kirche nachdachte, beunruhigte ihn die Mehrzahl von Ehefrauen stark. Schauen Sie auf ihn. Glauben Sie das ist notwendig? Ich nicht, denn ich bezweifle, ob er eine Frau bekommen könnte. Warum sollte es einen gebrechlichen alten Mann wie ihn beunruhigen, kann ich nicht sagen.

Ein herzlicher Empfang sieht sicherlich anders aus. Aber ungeachtet dessen hätte Thomas S. Monson es besser wissen müssen. Und gemäß obiger Definition muss man sich fragen, ob es eine Lüge darstellt. Und wenn man die Darstellungen der Kirchengeschichte in Leitfäden und Webseiten anschaut, ist die Frage, ob wichtige Informationen unterdrückt werden. Zumindest haben viele, die diese Dinge später erfahren, das Gefühl haben, dass sie belogen wurden.

Loosing one´s faith


Dies ist meine kurze Geschichte meiner Glaubenskrise und letztlich Glaubensverlustes oder -wandels. Es nahm seinen Anfang vermutlich damit, dass ich 2007 Richard Bushmans Biographie über Joseph Smith "Rough Stone Rolling" gelesen habe und erstmals in vollem Ausmaß von Joseph Smiths Vielehen erfahren habe. Wie er diverse junge Haushaltshelferinnen, Schwestern, Mutter zusammen mit Tochter sowie um die 10 bereits verheiratete Frauen ehelichte. Wie er dabei Druck ausübte und Ewiges Leben für die Familien verhieß. Usw. Das war wie ein Faustschlag in die Magengegend, denn es war klar: das war nicht einfach üble Nachrede eines Kirchenkritikers sondern seriöse Recherche. 

Ich habe das dann aber erst einmal beiseite geschoben mit Argumenten wie: genaue Umstände und Beweggründe wissen wir nicht final, Joseph Smith war fehlbar und menschlich, vielleicht war es ein Glaubenstest a la Opferung Isaaks durch Abraham... Und auch die vielen anderen kritischen Aspekte, die sich aus der Lektüre ergaben, konnte ich erst einmal rechtfertigen oder neutralisieren bzw. zumindest Argumente finden, die zumindest Raum dafür ließen, dass es immer noch alles wahr sein könnte:

- Joseph Smiths Aberglaube und Schatzsucherei: Hat ihn auf seine göttlich-seherische Aufgabe vorbereitet.
- Verschiedene Versionen der Ersten Vision: Erinnerung ist nun einmal nichts Festes und Absolutes, sondern wird immer wieder neu interpretiert.
- Buch Mormon Übersetzung mit Seherstein im Hut ohne Platten: Nicht mehr und nicht weniger wundersam als mit Urim und Thummim und den Platten.
- DNA und Buch Mormon: Lehi und Konsorten waren nur um die 30 Personen und auch später nur ein kleines Völkchen unter vielen in einem kleinen Bereich Zentralamerikas.
- Buch Abraham: Dann war es eben keine klassische Übersetzung, sondern die Papyrus-Rollen dienten nur als Auslöser und Inspirationsquelle.
- Freimaurertum: Auch wenn die Riten nicht bis zum Tempel Salomos zurückreichen dienten sie eben als äußerliche Form für die inspirierten Inhalte der Begabungszeremonien.
...

Ich sagte mir, dass es letztlich gute Gründe für den Glauben gibt genauso wie Gründe, die dagegen sprechen. Wobei viele der Gegenargumente eben auf unvollständigem Wissen beruhen oder der falschen Annahme, Profeten seien nahezu vollkommen und stünden in ständigem, direkten Dialog mit Gott. Gott arbeitet nun einmal mit bzw. durch unvollkommene Menschen und seine Wege und Methoden stimmen eben nicht immer mit unseren Vorstellungen und Erwartungen überein.

Und da es um Glauben geht, muss es in allem einen Gegensatz geben, d.h. Argumente und Belege dafür und dagegen. Außerdem würden handfeste Beweise ja Glauben überflüssig machen. Wenn wir uns primär auf wissenschaftliche Fakten verlassen, was passiert dann, wenn sich die Faktenlage ändert? Es werden ständig wissenschaftliche Erkenntnisse revidiert und neue Funde gemacht. Auf der anderen Seite habe ich sehr starke und klare geistige Erlebnisse gehabt, die meinen Glauben bestärken. Und zwar nicht nur ein paar gute Gefühle und Emotionen im Zusammenhang mit der Kirche, sondern machtvolle spirituelle Kundgebungen und Gefühle der Verbundenheit mit Gott.

Was ist dann passiert?

Ich glaube, es war im Buch "Receiving Answers to Prayers" von Gene R. Cook, wo er beschreibt, wie er die stärkste gefühlte Eingebung seines Lebens auf einer Reise in Asien hatte, dass seine Tochter auf Mission nach China gehen würde, er jedoch kurz darauf erfuhr, dass sie eine Berufung irgendwo in den USA erhalten hatte. Dann fragte ich mich, ob auch ich meine Eingebungen falsch interpretiert haben könnte. Ich erfuhr von Gläubigen anderer Kirchen, dass sie identische geistige Erlebnisse hatten bei ihrer Suche nach Gott mit Brennen im Herzen usw. Und ich lernte, dass es Studien gab zu diesen religiösen Gefühlen. Beispielsweise werden sie von Jonathan Haidt als "Elevation" bezeichnet. Hinzu kommen Studien über kognitive Dissonanz und andere mentale Phänomene. Schließlich musste ich mir eingestehen, dass meine geistigen Erlebnisse kaum zweifelsfrei belegen, dass das ganze Paket des Mormonenglaubens wahr ist und ich sehr vorsichtig sein sollte, Fakten auf Basis religiöser Gefühle beiseite zu schieben. Ich wollte versuchen, aus etwas neutralerer Perspektive auf die Grundlagen der Kirche zu schauen und auszuloten, welche Erklärung die wahrscheinlichste ist (natürlich wissend, dass vollkommene Neutralität und Objektivität unmöglich ist).

Ein weiteres Buch, welches mich sehr bewegt hat, war Charles Harrells "This is My Doctrine: The Development of Mormon Theology". Hier wird ein Vergleich zwischen den Lehren der Kirche heute, mit dem Buch Mormon, Altem und Neuem Testament sowie christlichem Verständnis zur Zeit Joseph Smiths angestellt.

Und jetzt schaute ich also noch einmal auf die Sachlage:
- Joseph Smith spricht zuerst von seiner Ersten Vision als nicht reale Erscheinung, sondern genauso wie es Dutzende Zeitgenossen während der religiösen Revivals in Nordamerika taten als persönliche Bekehrungsgeschichte bzw. Erweckungserlebnis.
- Joseph Smith ist eine Art Dorfhellseher, der mit Sehersteinen operiert und Kontakt mit Geistern sucht, um verwunschene Schätze zu finden.
- In Joseph Smiths Umgebung waren Vorstellungen weit verbreitet, dass die Indianer, die die dortigen Hügel aufgeschüttet hatten, vom Haus Israel abstammen.
- Joseph Smith hatte eine blühende Fantasie und seine Familie Jahre vor der Übersetzung des Buches Mormon mit Geschichten über die Indianer unterhalten.
- Das später als Erscheinung Moronis beschriebene Erlebnis war zunächst eine typische Anrufung von Geistern zu bestimmten abergläubisch signifikanten Tagen und erst viel später als real und mit Moroni in Verbindung gebracht erzählt.
- Joseph Smith war als Laienprediger während der Revivals aktiv.
- Im Buch Mormon finden sich viele, viele Gedanken aus Joseph Smiths Umfeld: Die Visionen seines Vaters als Lehis Vision, Revival-Rhetorik wie bei Bekehrung das Bewusstsein verlierende Menschen, vergrabene Schätze, die sich bewegen, Predigten von der Nichtigkeit und teuflischen Natur des Menschen und viels mehr.
- Joseph Smith berichtete ständig von Geistern, Engeln und Teufeln, die er gesehen haben will: Moroni als Bettler verkleidet mit einem Affen im Kasten...
- Die Zeugen des Buch Mormons haben die Platten eher mit ihrem geistigen Augen gesehen, ebenso die Vision von Johannes des Täufers zuerst als Vision bezeichnet wurde.
- Unter Druck in Kirtland wegen des Bankbetrugs durch Joseph Smith und andere wurden die früheren Geschichten realer berichtet, um ihm Autorität zu verschaffen.
- Propfezeiungen über das Weltende, bald zurückkehrende verlorene Stämme Israels aus dem Norden, Zion in Missouri usw. erfüllten sich nicht.
- Joseph Smith sah das Freimaurertum als verdorbene göttliche Praxis, die bis Adam zurückreicht und er müsse das wahre Freimaurertum wiederherstellen. Daher wurden fast alle Mitglieder in Nauvoo Freimaurer. Daraus entstand die Tempelzeremonie.
- Joseph Smith übersetzte das Buch Abraham von ägyptischen Papyrusrollen. Allerdings hat das Buch Abrahams nichts mit dem mittlerweile von Ägyptologen übersetzten Rollen zu tun.
- Joseph Smith identifizierte die mittlerweile als Fälschung identifizierten Kinderhook-Platten als aus Äqypten stammend.
- Joseph Smith ließ sich zum König der Welt ordinieren, organisierte den Rat der Fünfzig, um die Weltherrschaft anzutreten, begann seine Kandidatur zur Präsidentschaft der Vereinigten Staaten.
- Joseph Smith praktizierte im Geheimen Polygamie und Polyandrie, verleugnete dies jedoch öffentlich.
- Joseph Smith war mitverantwortlich für die Misshandlungen, Morde, Plünderungen und Diebstähle der so genannten Danites, einer geheimen Mormonen-Verbindung.
- Joseph Smith zerstörte die Druckerpresse, womit sein früherer Ratgeber William Law Joseph Smiths Vielehen öffentlich machen wollte. William Law sah Joseph als gefallenen Propheten und war entsetzt, als dieser ihm den Partnertausch vorschlug.
- Joseph Smiths Offenbarungen an Emma (LuB 132), Martin Harris und Oliver Cowdery entsprechen genau der Erwartung an eine in Joseph Smiths Kopf entstandene Botschaft. Hätte bspw. Gott wirklich Emma mit Vernichtung gedroht, wenn sie nicht die Dutzenden Frauen akzeptiert oder hätte er sie nicht wenigstens getröstet und Verständnis für ihre emotionale Verletzung gezeigt?
- Brigham Young nutzte niederste Praktiken, um die Nachfolge anzutreten. Eigentlich hatten die Apostel nur in den Gebieten etwas zu sagen, wo keine Pfähle organisiert waren und somit über die Siebziger, nicht aber die Ältesten. Also ordinierte er einfach alle Ältesten zu Siebziger usw.
- Brigham Young verbreitete die Lehre von der Blutsühne, wonach Feinde der Kirche und schwere Sünder ihr Blut vergießen müssten, um Hoffnung auf das Sühnopfer zu erhalten (da dieses alleine nicht ausreiche).
- Brigham Young ließ im Tempel die Adam-Gott-Theorie als Teil der Begabung lehren und die Mitglieder im Tempel schwören, das Blut Joseph Smiths zu rächen.
- Brigham Young profezeit, dass Schwarze vor dem 2. Kommen nicht das Priestertum erhalten werden.
- Wilford Woodruff erwartet jedes Jahr, dass die Vereinigten Staaten untergehen und profezeit, dass Polygamie nie von der Erde genommen werden wird.
...

Okay, das ist jetzt nicht mehr richtig neutral dargestellt, zeigt aber, dass, wenn man die Themen alle auf den Tisch legt und 1 und 1 zusammenzählt, ein klares Muster deutlich wird, nämlich dass man die Gründung und Entwicklung der Kirche komplett natürlich und rein menschlich erklären kann. Und es macht vielmehr Sinn ohne göttliche Intervention. Genauso mit den Lehren der Kirche (siehe oben genanntes Buch von Charles Harrell). Und dann ist mein Zeugnis wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Mir wurde plötzlich bewusst, dass mein Zeugnis auf einer verfälschten, vereinfachten, nachträglich frisierten Darstellung der Wiederherstellungs-Geschichte basierte. Das hat mich völlig erschüttert und gleichzeitig wütend gemacht. Wütend, dass ich erst mit über 40 hinter die schön gestrichene Fassade der Kirchengeschichte geschaut habe, und wütend, dass mir diese aufpolierte Kirchengeschichte all die Jahre als authentisch verkauft wurde. Wütend, dass ich 2 Jahre meines Lebens von Haus zu Haus gegangen bin, um diese Mär weiterzutragen - all die Ablehnung, die ich in Kauf genommen habe. Wütend, dass ich nicht mal bestimmte Personen dafür verantwortlich machen kann, da die Themen ja kaum einem Mitglied bekannt sind und selbst Generalautoritäten vermutlich gute Absichten dabei verfolgen, dies vor den Mitgliedern zu verbergen.

Jetzt könnte man natürlich sagen: Was soll´s, dann ist die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage eben genauso menschlichen Ursprungs wie die Methodisten, Anglikaner, Lutheraner, Katholiken usw. Letztlich lehrt sie doch gute Dinge und hilft uns, positive Werte unseren Kindern weiter zu geben. Ist das wirklich so? Was ist mit den Homosexuellen, die aus der Kirche getrieben und vor die Wahl gestellt werden, auf Liebe zu verzichten oder die Kirche zu verlassen? Und was ist mit dem weit übersteigerten Schwerpunkt auf Keuschheit und anständiger Kleidung, was nachweislich den gegenteiligen Effekt hat nämlich beispielsweise überdurchschnittlich hohe Porno-Nutzung in Utah. Und was ist mit einer Ersten Präsidentschaft, die vereint bei der Eröffnung einer von der Kirche finanzierten Shopping-Luxus-Mall für insgesamt um die 5 Milliarden Dollar (Beteiligung der Kirche vermutlich mindestens 1,5 Milliarden Dollar) ruft: "1, 2, 3... let´s go shopping!" Oder dem Profeten Thomas S. Monson, der die Geschäftsstelle einer Bank in Provo weiht, die Milliarden an Drogengelder gewaschen hat.

Und die Mitglieder werden systematisch dumm gehalten. In keinem Seminar-, Instituts- oder Sonntagsschul-Leitfaden finden sich Darstellungen der oben genannten Problemstellungen wieder. Seit den 1920er Jahren wissen die Kirchenobersten von den Problemen mit der Historizität des Buch Mormons und davon, dass das Buch Abraham nichts mit den Pergamentrollen zu tun hat. Längst ist auch bekannt, dass die Riten des Freimaurertums nicht all zu lange zurückreichen. Aber was passiert mit dieser Erkenntnis? Still und heimlich werden einige der anstößigen Tempelrituale "ent-freimaurert". Und was ist mit den Erkenntnissen der Bibelforschung? Nichts findet sich wieder von den Forschungen zu den Autoren des Neuen Testaments. Mittlerweile fremdartige Lehren werden einfach nicht mehr so öffentlich gelehrt. Etwa, dass die 10 verlorenen Stämme aus dem Norden zurückkehren werden, wenngleich Bibelforscher die Zerstreuung der 10 Stämme mittlerweile als reine Legende sehen. Kurzum die Kirche führt die unter Polygamie gestartete Tradition der Lüge und Vertuschung weiter fort und hinkt hinter allen sozialen Veränderungen hinterher: Frauenbewegung, Schwarze, Homosexuelle.

Der nächste Schritt in meinem Glaubensniedergang setzte ein, als ich auf der Basis meiner neuen Erkenntnisse über die Autorität der Bibel und Gott nachdachte. Wenn es keine richtig wahre Kirche auf Erden gibt, warum lässt uns Gott dann so alleine? Und ist das Alte Testament nicht einfach nur eine Sammlung zumeist grauenvoller menschenverachtender Berichte von Völkermord & Co.? Und im Neuen Testament gibt es nicht eine Aussage eines Augenzeugen Jesu. Alles ist Jahrzehnte nach seinem Tod verfasst worden und die Rekonstruktion des historischen Jesus nicht sonderlich glaubensstärkend. Sie zeigt eher, dass Jesus wohl ein extremistischer Rabbi und Exorzist war, der das baldige Gottesreich verkündet hat. Außerdem widersprechen die modernen Erkenntnisse der Gehirnforschung den einfachen dualistischen Vorstellungen von Körper und Seele sowie teuflischen Einflüsterungen der Versuchung. Also stelle ich mittlerweile sogar die Existenz Gottes in Frage.

Das Problem ist, dass wenn man einmal vom Baum der Erkenntnis gekostet hat, kein Weg mehr zurückführt in das Paradies den unschuldigen, naiven Glaubens. Und so muss ich jetzt mein Leben neu sortieren, mich neu orientieren. Der klare Sinn und die Antworten auf alle wichtigen Fragen sind dahin. Andererseits muss ich jetzt nicht mehr zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern unterscheiden und auf Sünde mit Abscheu blicken. Muss mich nicht mehr schuldig fühlen, wenn ich nicht vollkommen bin und Angst davor haben, es nicht ins celestiale Reich zu schaffen. Ich kann einfach gut sein, weil ich es als richtig und schön empfinde. Ich bin nach wie vor dankbar und liebe meine Familie.

Wobei der Umgang in der Familie mit der Kirche und dem Glauben echt schwerfällt. Wie sollte meine Frau verstehen, warum ich plötzlich nicht mehr glaube? Ist das eine extreme Form der Midlife-Crises? Mir kommt es so vor, als ob ich die Kirche jetzt endlich so sehe, wie sie wirklich ist. Und eigentlich will ich mit der Organisation nichts mehr zu tun haben. Wobei ich große Achtung vor vielen Mitgliedern habe. Und ich möchte diese Sichtweise mit meiner Frau teilen. Aber damit versuche ich, ihren Glauben zu zerstören. Und nötige ihr meinen Unglauben auf. Und natürlich bricht für sie eine Welt zusammen, war es doch unser gemeinsames Ziel, eine ewige Familie aufzubauen, die Kinder im Evangelium großzuziehen usw. Und jetzt mache ich alles kaputt. Aber ich kann nicht einfach das alte für mich in Scherben liegende Weltbild zusammenkleben und weiter wie bisher tun. Ich fühle mich wie ein Betrüger und Verräter in der Kirche. Ich sehe den Schmerz in den Augen meiner Frau. Aber was soll ich tun? Auch wenn ich nichts sage, wenn die Kinder von schönen Kirchenaktivitäten berichten, ist es falsch. Ich hoffe, dass sich das irgendwie wieder normalisiert und wir entspannt mit der neuen Lage umgehen lernen. Auch wenn ich nicht wieder gläubig werde und auch wenn meine Frau ihren Glauben aufrecht erhält. Ich hätte nie gedacht, wie traumatisch und schrecklich das für alle Beteiligten ist

Ich bin wirklich dankbar, dass es Mormon Stories gibt und andere Podcasts sowie Gruppen im Internet. Ansonsten würde ich wahrscheinlich durchdrehen. So weiß ich wenigstens, dass ich nicht der Einzige bin, der in einer Glaubenskrise steckt bzw. eigentlich schon wieder raus ist, aber an dem Ende ohne Glauben. Die Kirche bietet hier wenig bis gar keine Hilfe. Allerdings muss ich unserem Bischof ein großes Lob aussprechen, da er sich wirklich Mühe gibt, auch wenn er keine wirklichen Antworten parat hat. Und er hat sehr verständnis- und liebevoll reagiert ohne Vorwürfe, Verurteilung, sofortiger Entlassung und Tempelscheinentzug oder ähnlichem.

Ich hoffe, dass die die Wunden durch zerbrochene Pläne, entstandene Ängste, Enttäuschungen usw. wieder heilen.